Sprung in das Reich der Freiheit wagen. Hannah Arendts Bekenntnis zur ethisch begründeten Verweigerung des Individuums

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Der Artikel „Amerikas neue ‚Todesengel‘: Injizieren der Menschheit eine genverändernde, todbringende Technologie. Mediziner können sich nicht auf Unwissenheit berufen“ in „Global Research“ vom 11. Juli 2022 beginnt mit einem bemerkenswerten Zitat, das dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann im Prozess in Israel 1961 zugeschrieben wird – und unwillkürlich Parallelen zur politischen Situation in der heutigen Welt heraufbeschwört. Eichmann galt in der internationalen Öffentlichkeit als einer der Hauptverantwortlichen für die „Endlösung“ der Juden in Europa:

„Die Schuld für den Massenmord liegt allein bei den politischen Führern… Ich klage die Führer an, meinen Gehorsam zu missbrauchen. Damals wurde Gehorsam verlangt, so wie er auch in Zukunft von den Untergebenen verlangt werden wird. Gehorsam wird als eine Tugend gelobt.” (1)

Für die deutsche Philosophin und Professorin für Politische Theorie Hannah Arendt lag das bestimmende Motiv Eichmanns neben persönlichem Ehrgeiz in einer „irregeleiteten Pflichterfüllung und einem bürokratischen Kadavergehorsam“ (2). Es sei gewissermaßen „schiere Gedankenlosigkeit“ des Schreibtischtäters gewesen, die ihn dafür prädisponierte, ohne „teuflisch-dämonische Tiefe“ zu einem der größten Verbrecher jener Zeit zu werden (3).

Im nationalsozialistischen Genozid hingegen sah Arendt einen „Verwaltungsmassenmord“ (administrative massacres) (4) und – weit vorausschauend – die Vision einer hochtechnisierten und bürokratischen Welt, in der der Völkermord und die Ausrottung „überflüssig“ (oder „nutzlos“) erscheinender Bevölkerungsgruppen geräuschlos und ohne moralische Empörung der Öffentlichkeit zur Gewohnheit werden würden (5).

Für die Totalitarismus-Forscherin Arendt besteht der Mechanismus totalitärer Herrschaft sowohl in einer „staatlicherseits vorgeschriebenen Umwertung der Werte“ (6) als auch in einer „unaufhaltsamen Verstärkung des Terrors, der die Menschen unbeweglich mache“ (7).

Arendts persönliche Antwort auf das nationalsozialistische „Verbrechen gegen die Menschheit“ bestand nach Auffassung des Historikers Hans Mommsen im Bekenntnis zum „Rebellentum“, einer ethisch begründeten Verweigerung des Individuums.

In einem einführenden Essay zu Arendts Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ schreibt Mommsen:

„Dem Individuum forderte sie ab, was sie selbst zu praktizieren versuchte, den existenzphilosophisch begründeten Sprung in das Reich der Freiheit zu wagen; (…) und einen wirklichen Neuanfang zu wagen.“ (8)

Dieser Text aus dem Jahr 1986 hat bis heute nichts von seiner analytischen Schärfe und Brisanz verloren.

Arendt selbst spricht in ihrem Buch von einer grundsätzlichen Frage, die in allen Nachkriegsprozessen berührt wurde und die das Wesen und das Funktionieren der menschlichen Urteilskraft betrifft:

„Was wir in diesen Prozessen fordern, ist, dass Menschen auch dann noch Recht von Unrecht zu unterscheiden fähig sind, wenn sie wirklich auf nichts anderes mehr zurückgreifen können als auf das eigene Urteil, das zudem unter solchen Umständen in schreiendem Gegensatz zu dem steht, was sie für die einhellige Meinung ihrer gesamten Umgebung halten müssen.“ (9)

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Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Lehrer (Rektor a. D.), Doktor der Pädagogik (Dr. paed.) und Diplom-Psychologe (Schwerpunkte: Klinische-, Pädagogische- und Medien-Psychologie). Als Pensionär arbeitete er viele Jahre als Psychotherapeut in eigener Praxis. In seinen Büchern und pädagogisch-psychologischen Fachartikeln fordert er eine bewusste ethisch-moralische Werteerziehung und eine Erziehung zum Gemeinsinn und Frieden.

He is a regular contributor to Global Research.

Noten

1. https://www.globalresearch.ca/america-new-angels-death/5786216

2. Arendt, Hannah (1964). (8. Auflage November 2013). Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München, S. 25

3. a. O., S. 57

4. a. O., S. 58

5. a. O., S. 18

6. a. O., S. 57

7. a. O., S. 26 f.

8. a. O., S. 43

9. a. O., S. 69 

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Articles by: Dr. Rudolf Hänsel

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