„Sag, Mutter, wie sieht Frieden aus?“

In Erinnerung an die deutsche Friedensaktivistin im Israel-Palästina-Konflikt Ellen Rohlfs

In-depth Report:

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Als ich in „Global Research“ vom 17. August 2022 („Haaretz“ 11. August 2022) den Artikel von Gideon Levy Als Roger Waters weinte: ‚Hat ein Israeli Tränen für einen Jungen aus Gaza vergossen?‘“ (1) las, erinnerte ich mich an die deutsche Friedensaktivistin Ellen Rohlfs (1927-2020), mit der ich Mitte der neunziger Jahre in regem Austausch stand.

Heute werde ich – in herzlichem Gedenken an diese vorbildliche Frau – allein aus ihrem Buch zitieren: „Sag, Mutter, wie sieht Frieden aus? Nachdenkliches und Frag-Würdiges zum Israel-Palästina-Konflikt mit einem Vorwort von Uri Avnery“. (2)

Buchcover, Vorwort, Widmung

Bereits das Buchcover mit dem in großen Buchstaben geschriebenen Wort „Frieden“ in mehreren Sprachen vermittelt den Inhalt des Buches: Es geht um Frieden, Verständigung und Versöhnung zwischen den beiden Völkern – den Israelis und den Palästinensern.

In „einer Art Vorwort“ schreibt der israelische Journalist, Schriftsteller, Politiker und Friedensaktivist Uri Avnery:

„Als Israeli möchte ich nicht mit anderen moralischen Maßstäben gemessen werden als jedes andere Volk. Zionismus bedeutet für mich das Verlangen, als normales Volk in einem normalen Staat zu leben.“

(…).

„Was mir an diesem Buch am meisten imponiert, ist, dass es für beide Seiten dieses tragischen Konfliktes Verständnis hat. Darauf kommt es an. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass man nicht gegen Israel sein muss, wenn man mit den Palästinensern sympathisiert – und dass man nicht gegen die Palästinenser sein muss, wenn man Israel liebt. Das Gegenteil stimmt: Man kann und muss für Israel, für die Palästinenser, für die Menschlichkeit und für den Frieden sein. Ellen Rohlfs ist es.“ (3)

Im Anschluss an das Vorwort vier Zitate als Widmung:

„Motto: ‚Israel mus live – must others die?“ (Poster bei einer Peace-Now-Demonstration)“

„‘Ein Mensch, der ein Mensch ist, kann nicht schweigen zu dem, was geschieht.‘ Erich Fried (aus ‚Höre Israel!‘)“

„‘Wer schweigt, stimmt zu!‘ (aus dem Talmud und aus dem Appell israelischer Friedensgruppen an die Freunde Israels s. Anhang II)“

„‘Wer ist ein Held? Der aus Feinden Freunde macht.‘ Avot d’Rabbi Nathan“ (4)

Einleitung von Ellen Rohlfs

„Auch wenn auf diesem Band die Frage eines Kindes steht: ‚Sag, Mutter, wie sieht Frieden aus?‘ so ist diese Frage eine viel ernstere und schwerwiegendere als die ‚bedeutenden Fragen‘ des ‚kleinen Prinzen‘ (St. Exupéry) an die Welt der Erwachsenen. Die Frage des Kindes ist so ernst, weil sie – dem Kind natürlich nicht bewusst – nicht nur lokale, sondern aus bestimmten Gründen globale Bedeutung hat.

Seit Anfang dieses Jahrhunderts befassen sich weltweit verantwortliche Politiker, Staatsminister und Außenminister, jüdische und nichtjüdische, amerikanische und europäische, die UNO und der Weltsicherheitsrat, namhafte Persönlichkeiten, Nahostexperten, Wirtschaftsmanager, Historiker, Theologen, Friedensforscher und viele andere mit der Frage, wie in Nahost Frieden geschaffen werden könnte, wie der Frieden in diesem kleinen Land, in dem seit etwa 100 Jahren zwei Völker miteinander leben müssen, aussehen sollte.

(…).

Und es kann auch nur dann Frieden zwischen beiden Völkern werden, wenn ‚die Israelis die Palästinenser wie Menschen behandeln‘, wie kürzlich ein Jude uns gegenüber zum Ausdruck brachte. Genau dafür plädiere ich, dies klage ich ein, dafür schreie ich auf – und warte ungeduldig auf Frieden in diesem Land, auf Frieden zwischen den beiden Völkern, zwischen den Israelis und den Palästinensern. …sollten wir heute – nach dem 13. September 1993 – dem Frieden ein Stück näher gekommen sein? Renne ich inzwischen offene Türen ein? Ich wäre wirklich froh.“ (5)

„Sag, Mutter, wie sieht Frieden aus?“

Gegen Ende des Buches beschreibt Rohlfs, wie der Frieden auch in Israel und Palästina aussehen könnte

„Kinder malen ihre Welt. Sie malen sie so, wie sie sie erleben, so wie sie sie sehen, und mitten darin ihr kleines, großes Ich. Sie malen ihre Wünsche, ihre Träume…Zu den Träumen und Wünschen der Kinder Palästinas gehört die Sehnsucht, nicht ständig in Angst sein zu müssen: angstfrei zu spielen und angstfrei zu lernen, angstfrei sich auf der Straße zu bewegen, und angstfrei sich unter den Olivenbäumen zu tummeln und ohne Angst zwischen den Felsen ihres eigenen Landes herumzustreifen, ohne die Neugierde weckenden Objekte zu finden, die in ihren Händen explodieren.

Was für andere Kinder normal und selbstverständlich ist, angstfrei sich in den eigenen vier Wänden aufzuhalten mit Geschwistern, Eltern und Großeltern – und meistens sind die Räume sehr klein – auch angstfrei zu schlafen – ist seit langem für palästinensische Kinder nicht mehr selbstverständlich. Nächtliche Störungen durch rücksichtslose israelische Soldaten, die einen angeblich versteckten Terroristen suchen, sind an der Tagesordnung.

Kinder wollen auch nicht tage- und wochenlang wegen Ausgangssperre in ihren eigenen vier Wänden wie in einem Gefängnis eingesperrt sein – sie haben kaum Spielzeug. Den ganzen Tag vor dem Fernseher zu sitzen – wer hält das unbeschadet aus? Langeweile und Raufereien unter den Geschwistern gehören deshalb zum Alltag – auch Prügel von den Eltern; denn sie sind genauso gereizt und weniger geduldig; auch sie leben in ständiger Angst. Eines der vielen Kinder ist immer am Schreien. Die Spannung ist kaum zu ertragen.

Schlaf- und Essstörungen sind inzwischen normal, auch das Bettnässen…Niemand wundert sich mehr darüber. Die Ärzte haben resigniert – was sollen sie auch tun? Eine Reihe von Kindern sehen ihre Mutter sogar nur beim Besuch im Gefängnis, und nicht einmal hier dürfen sie von ihr in den Arm genommen werden. Warum ist Mutter eigentlich im Gefängnis? Hat sie sich nicht nur gegen die brutalen Soldaten zur Wehr gesetzt? Hat sie sich nicht nur vor den Bruder gestellt, damit ‚sie‘ ihn nicht mitnehmen? Mutter ist doch keine Verbrecherin.

Und immer wieder stehen die Kinder an einem offenen Grab, der große, tapfere Bruder wird hineingelegt oder ein kleines Geschwisterchen, das am Tränengas erstickte. Die Mutter weint, der Vater weint – das Kind aber versteht nicht, was los ist…Ist das das Leben? Und wenn die Kinder einmal zur Ruhe kommen, dann malen sie und stellen eine der tausend Fragen: ‚Sag, Mutter, wie sieht Frieden aus, ich möchte ihn malen.‘ Sie wissen nicht, was Frieden ist – sie haben nie Frieden erlebt.

(…).

Doch von einem etwa neunjährigen palästinensischen Kind habe ich eine schlichte, aber bewegende Zeichnung. Seine Eltern scheinen noch immer und trotz allem auf Versöhnung zu bauen – und nicht auf Hass. Ich beschreibe die Zeichnung:

Zwei Kinder stehen sich gegenüber. Das eine trägt auf seinem Kopf ein Käppchen, das andere ein schwarz-weißes Tuch, die Keffiye, und um es ganz deutlich zu machen, ist über dem mit dem Käppchen die israelische Flagge mit dem Davidstern, und über dem anderen Kind die palästinensische Fahne mit den vier Farben. Die Kinder reichen sich die Hände. Flankiert sind sie aber mit allerlei Waffen, Panzern, Flugzeugen und Gewehren – diese jedoch kräftig durchgestrichen. Sie wollen ohne bedrohende, todbringende Waffen leben. Sie wollen keine Angst mehr voreinander haben. Sie wollen mit- und nicht gegeneinander leben. Sie wollen miteinander spielen, miteinander feiern und fröhlich sein.

So sähe Frieden aus auch in Israel und Palästina. Aus einer ungewöhnlichen Mixtur von erlebter täglicher Angst, Naivität, Wünschen und Hoffnung entstand die Kinderzeichnung von Frieden und Versöhnung.“ (6)

*

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Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Lehrer (Rektor a. D.), Doktor der Pädagogik (Dr. paed.) und Diplom-Psychologe (Schwerpunkte: Klinische-, Pädagogische-, Medien- sowie Individual-Psychologie). Viele Jahrzehnte unterrichtete er, bildete Hochschulabsolventen fort, gründete zusammen mit Kollegen eine Modellschule für ehemalige Schulversager, bildete Beratungslehrkräften aus und war schließlich Staatlicher Schulberater. Als Pensionär arbeitete er viele Jahre als Psychotherapeut in eigener Praxis. In seinen Büchern und pädagogisch-psychologischen Fachartikeln fordert er eine bewusste ethisch-moralische Werteerziehung und eine Erziehung zum Gemeinsinn und Frieden.

Noten

1. https://www.globalresearch.ca/when-roger-waters-cried/5790446/

2. Rohlfs, Ellen (1993). Sag, Mutter, wie sieht Frieden aus? Nachdenkliches und Frag-Würdiges zum Israel-Palästina-Konflikt. Mit einem Vorwort von Uri Avnery. Tossens

3. a. O., S. 10

4. a. O., S. 11

5. a. O., S. 12 ff.

6. a. O., S. 178 ff.


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Articles by: Dr. Rudolf Hänsel and Ellen Rohlfs

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