Im Wortlaut : Was Vladimir Putin am 4. Juni 2007 wirklich sagte (Teil 1)
Die englische Niederschrift dieser Pressekonferenz des russischen Präsidenten Putin am 4. Juni 2007, also vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm, erschien zunächst auf der Website des russischen Präsidenten, verschwand dort aber schon ein paar Tage später wieder. Von den großen internationalen Medien wurde sie kaum erwähnt. Zum Glück hatten sie unsere Freunde von Global Research dokumentiert. Jetzt ist endlich auch die deutsche Fassung zugänglich! Und sie wird so schnell nicht verschwinden!
VLADIMIR PUTIN: Guten Abend, meine Damen und Herren!
Ich möchte Sie herzlich willkommen heißen.
Am Anfang unserer Diskussion möchte ich gerne ein paar Worte sagen. Wir glauben, daß das G8 Forum ein nützliches und interessantes Ereignis ist, das es uns erlaubt, unsere Herangehensweise an Schlüsselfragen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Weltwirtschaft und anderen Fragen auf der Tagesordnung der internationalen Politik zu synchronisieren. Und nicht nur um unsere Uhren sozusagen aneinander anzugleichen, sondern auch um unsere Positionen aufeinander abzustimmen, Positionen, die in der Folge in den Dokumenten der G8 und noch später in den Dokumenten anderer internationaler Organisationen, darunter auch die Vereinten Nationen, formalisiert werden. So geschah es auch in der Vergangenheit.
Ich bin sehr zufrieden, daß die Übereinkünfte, die wir im letzten Jahr in St.Petersburg erreicht haben, nicht vergessen wurden. Viele unserer Übereinkünfte wurden umgesetzt. Darüber hinaus hat die deutsche Präsidentschaft die großen Themen unserer Diskussionen in St.Petersburg nicht vergessen. Wir sehen deutlich, wie das, was wir in Rußland diskutierten, Eingang in die Dokumente findet, die jetzt von den Experten und Assistenten erarbeitet werden. Natürlich bezieht sich dies zuerst und vor allem auf Energie. Aber nicht nur. Dies schließt auch Entwicklungshilfe und insbesondere Hilfe an afrikanische Länder mit ein. Es schließt den Kampf gegen ansteckende Krankheiten ein, und natürlich auch unsere gemeinsamen Anstrengungen im Hinblick auf den Klimawandel.
Natürlich werden wir auf alle diese Dinge eingehen, und wie ich bereits gesagt habe, auch auf andere ernste internationale Fragen für Europa, wie etwa den Balkan und andere Probleme. Ich bin zuversichtlich, daß eine offene, ehrliche Diskussion unter Partnern über alle diese Probleme – ungeachtet wie schwierig sie zu lösen sein mögen – eine nützliche Diskussion sein wird.
Ich möchte Ihnen für das Interesse danken, das Sie an unserer Arbeit gezeigt haben. Ich habe sicher nicht die Frechheit oder das Recht, für alle meine Kollegen von den G8 zu sprechen. Aber ich bin bereit, Ihnen Rußlands Position in den Fragen näher zu erläutern, die Ihrer Ansicht nach von öffentlichem Interesse sind.
Das war alles , was ich zum Auftakt sagen wollte, und ich werde keine Zeit in einem Monolog verschwenden. Ich höre Ihnen zu. Lassen Sie uns mit der Arbeit beginnen.
DER SPIEGEL: Herr Präsident, es sieht so aus, als sei Rußland vom Westen nicht sehr angetan. Unsere Beziehungen scheinen sich verschlechtert zu haben. Und wir können auch die Verschlechterung Ihrer Beziehungen mit Amerika erwähnen. Bewegen wir uns erneut auf einen Kalten Krieg zu?
VLADIMIR PUTIN: Man kann für internationale Beziehungen, für die Beziehungen zwischen Ländern kaum dieselbe Begrifflichkeit anwenden, die man für die Beziehungen zwischen Personen verwendet – insbesondere in der Zeit der Flitterwochen, oder wenn sie sich vorbereiten, zum Standesamt zu gehen.
In der Geschichte waren Interessen immer das vorrangige Prinzip, nach dem sich die Beziehungen zwischen Staaten in der internationalen Arena organisierten. Und je zivilisierter diese Beziehungen sich gestalten, desto klarer ist, daß die eigenen Interessen mit den Interessen von anderen Ländern ausbalanciert werden müssen. Und man muß fähig sein, Kompromisse zu finden, um die schwierigsten Probleme und Fragen zu lösen.
Eine der größeren Schwierigkeiten heutzutage ist, daß bestimmte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft vollkommen davon überzeugt sind, daß ihre Meinung die korrekte ist. Und dies ist natürlich kaum förderlich, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, von der ich glaube, daß sie grundlegende Voraussetzung dafür ist, mehr als nur gegenseitig akzeptable Lösungen, sondern optimale Lösungen zu finden. Wie dem aber auch sei, wir sind gleichzeitig der Meinung, daß wir nichts übermäßig dramatisieren sollten. Wenn wir unsere Auffassung offen, ehrlich und geradeheraus zum Ausdruck bringen, dann bedeutet dies nicht, daß wir die Konfrontation suchen. Darüber hinaus bin ich zutiefst überzeugt, daß jeder davon profitierte, wenn wir imstande wären, eine ehrliche Diskussion zuführen und die Fähigkeit wieder erlangen, Kompromisse zu finden. So bin ich davon überzeugt, daß bestimmte Krisen, denen sich die internationale Gemeinschaft heute gegenübersieht, nicht bestünden und auch die innere politische Situation in bestimmten Ländern nicht derart beeinträchtigt hätten.
Beispielsweise würden die Ereignisse im Irak den Vereinigten Staaten nicht solche Kopfschmerzen verursachen. Dies ist das deutlichste und schärfste Beispiel, aber nichts desto trotz, ich möchte, daß sie mich recht verstehen. Wie sie sich erinnern, waren wir gegen ein militärisches Eingreifen im Irak. Wir sind jetzt der Auffassung, daß, hätten wir uns den Problemen, mit denen wir uns konfrontiert sahen, rechtzeitig und mit anderen Mitteln gestellt, die Resultate – meiner Meinung nach – immer noch besser wären, als das, was wir heute haben.
Aus diesem Grunde wünschen wir keine Konfrontation. Wir wollen den Dialog.Wir wollen einen Dialog, in dem die Gleichwertigkeit der Interessen beider Seiten anerkannt wird.
WALL STREET JOURNAL: Eine Weiterführung der letzten Frage. Eines der schwerwiegendsten Probleme der letzten Zeit zwischen Washington und Moskau waren die amerikanischen Pläne, Teile eines Raketenabwehrsystems in Europa zu stationieren. Da Rußland sich sehr grundsätzlich gegen ein solches System stellt und das Weiße Haus versichert, daß es dessen ungeachtet seine Pläne weiter verfolgen will, verschärft sich die Konfrontation zusehends …
VLADIMIR PUTIN: Das ist, nebenbei bemerkt, die Antwort auf die vorherige Frage. Entschuldigen Sie, fahren Sie bitte fort.
WALL STREET JOURNAL: …und umso mehr Länder wollen sich an diesem System beteiligen. Was gewinnt Rußland, wenn es dieses System so vehement ablehnt?
VLADIMIR PUTIN: Ich möchte mit dem Vertrag über die Anpassung der Konventionellen Streitkräfte in Europa (Adapted Conventional Armed Forces Treaty in Europe – ACAF) beginnen. Wir haben nicht nur erklärt, daß wir bereit sind, den Vertrag zu erfüllen, wie es gewisse andere getan haben. Wir setzen den Vertrag tatsächlich um: Wir haben alle unsere schweren Waffen aus dem europäischen Teil Rußlands abgezogen und hinter dem Ural aufgestellt. Wir haben unsere Streitkräfte um 300.000 Mann reduziert. Wir haben verschiedene weitere Schritte unternommen, die der ACAF vorsieht. Aber was haben wir als Antwort gesehen? Osteuropa erhält neue Waffen, zwei neue Militärbasen werden in Rumänien und Bulgarien errichtet, und es gibt zwei weitere Areale für den Start von Raketen – eine Radaranlage in der Tschechischen Republik und Raketensysteme in Polen. Und wir stellen uns die Frage: Was geschieht hier? Rußland rüstet einseitig ab. Aber wenn wir einseitig abrüsten, sähen wir gerne, daß unsere Partner dasselbe in Europa tun. Aber im Gegenteil wird Europa mit neuen Waffensystemen vollgepumpt. Natürlich konnen wir nicht anders, als besorgt sein.
Was sollten wir unter diesen Umständen tun. Natürlich haben wir ein Moratorium verkündet.
Dies betrifft das Raketenabwehrsystem. Aber nicht nur das Raketenabwehrsystem für sich allein genommen. Wenn das Abwehrsystem aufgestellt ist, wird es automatisch mit der gesamten nuklearen Kapazität der Vereinigten Staaten zusammenarbeiten. Es wird integraler Bestandteil der nuklearen Schlagkraft der USA.
Ich möchte ihre Aufmerksamkeit und die ihrer Leser auf die Tatsache lenken, daß zum ersten Mal in der Geschichte – und ich möchte dies betonen – Elemente der amerikanischen Nuklearstreitmacht auf dem europäischen Kontinent stationiert sind. Das ändert einfach die gesamte Konfiguration der internationalen Sicherheit. Das ist das zweite.
Schließlich, drittens, wie rechtfertigen sie dies? Mit der Notwendigkeit, sich gegen iranische Raketen zu verteidigen. Aber es gibt keine solchen Raketen. Iran hat keine Raketen mit einer Reichweite von 5000 – 8000 Kilometern. Mit anderen Worten wird uns gesagt, das dies Raketenabwehrsystem etwas abwehren soll, das gar nicht existiert. Finden Sie nicht, daß dies sogar ein wenig spaßig ist. Aber es wäre nur spaßig, wenn es nicht so traurig wäre. Wir sind mit den Erklärungen, die wir hören, nicht zufrieden. Es gibt keine irgendwie geartete Notwendigkeit, ein Raketenabwehrsystem in Europa zu installieren. Unsere Militärexperten sind ganz sicher der Auffassung, daß dieses System das Territorium der Russischen Föderation vor dem Ural betrifft. Und darauf müssen wir natürlich antworten.
Und jetzt möchte ich gerne eine endgültige Antwort auf Ihre Frage geben: Was wollen wir? Zuallererst wollen wir gehört werden. Wir möchten, daß unsere Position verstanden wird. Wir schließen nicht aus, daß unsere amerikanischen Partner ihre Entscheidung noch einmal überdenken. Wir zwingen niemandem etwas auf. Aber wir gehen vom gesunden Menschenverstand aus und denken, daß alle anderen ebenfalls ihren gesunden Menschenverstand gebrauchen können. Aber wenn dies nicht geschieht, werden wir keine Verantwortung für unsere Gegenmaßnahmen übernehmen, weil wir nicht mit dem beginnen, was sich sicherlich zu einem neuen Rüstungswettlauf in Europa auswachsen wird. Wir möchten, daß jeder eindeutig versteht, daß wir nicht für dieses Wettrüsten verantwortlich sind. Zum Beispiel, wenn man versucht, uns diese Verantwortung im Zusammenhang mit unseren Bemühungen zuzuschieben, unsere strategischen Nuklearwaffen zu verbessern. Wir haben den Rückzug aus dem ABM Vertrag (Anti Ballistic Missiles Treaty) nicht angefangen. Aber welche Antwort gaben wir, als wir die Angelegenheit mit unseren amerikanischen Partnern diskutierten? Wir sagten, daß wir nicht die Resourcen und nicht den Wunsch haben, ein solches System aufzustellen. Aber als Profis verstehen wir, daß eine Illusion von Sicherheit entsteht, wenn die eine Seite ein solches System hat und die andere nicht, und daß dies die Möglichkeit eines nuklearen Konfliktes erhöht.
Ich spreche rein theoretisch – dies hat keine persönliche Dimension. Dies zerstört das strategische Gleichgewicht in der Welt. Um dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, ohne ein Raketenabwehrsystem aufzustellen, werden wir ein System schaffen müssen, daß die Raketenabwehr überwinden kann, und wir sind dabei, genau dieses zu tun.
An diesem Punkt sagten unsere Partner: „Alles ist in Ordnung, wir sind keine Feinde, wir werden nicht gegeneinander arbeiten“. Wir wiesen darauf hin, daß wir ihnen lediglich antworten: „Wir haben Euch gewarnt, wir haben über diese Dinge gesprochen und Ihr habt uns auf eine bestimmte Art und Weise geantwortet. Also handeln wir, wie wir es angekündigt haben.“ Und wenn sie ein Raketenabwehrsystem in Europa aufstellen – und wir sprechen unsere Warnung heute aus – wird es Gegenmaßnahmen geben. Wir müssen unsere Sicherheit gewährleisten. Und wir sind es nicht, die diesen Prozeß vorantreiben.
Und schließlich, als Letztes: Ich möchte nicht, daß Sie der Illusion erliegen, daß wir irgendjemanden nicht mehr lieben. Aber manchmal denke ich bei mir: Warum tun sie all dieses? Warum versuchen unsere amerikanischen Partner so hartnäckig, ein Raketenabwehrsystem in Europa aufzustellen, wo es doch – und dies ist absolut offensichtlich – nicht erforderlich ist, iranische Raketen oder – noch offensichtlicher – nordkoreanische Raketen abzuwehren? (Wir wissen alle, wo Nordkorea liegt und welche Reichweite diese Raketen haben müßten, um Europa erreichen zu können.) Also ist das Abwehrsystem eindeutig nicht gegen diese Länder gerichtet, und es ist eindeutig nicht gegen Rußland gerichtet, denn es ist für jedermann zu sehen, daß Rußland keinerlei Vorbereitungen trifft, irgendjemanden anzugreifen. Also warum? Geht es vielleicht darum, sicherzustellen, daß wir unsere Gegenmaßnahmen durchführen? Um so eine weitere Annäherung zwischen Europa und Rußland zu verhindern? Wenn dies der Fall ist (und ich behaupte nicht, daß dies so ist, aber es ist eine Möglichkeit), dann glaube ich, daß dies nur ein weiterer Fehler wäre, denn das ist nicht der Weg, internationale Sicherheit und Frieden zu verbessern.
DER SPIEGEL: Eine kurze Zusatzfrage: Können Sie sich vorstellen, die Installation eines ähnlichen, russischen Raketenabwehrsystems irgendwo in der Nähe der Vereinigten Staaten, etwa in Kuba, zu erwägen?
VLADIMIR PUTIN: Wissen Sie, ich hätte dies ansprechen sollen, aber sie haben es vor mir erwähnt. Wir planen nichts dergleichen und haben, wie allgemein bekannt ist, unsere Basen in Kuba vor kurzem abgebaut. Zur selben Zeit, da die Amerikaner neue Basen in Europa errichten, in Rumänien und in Bulgarien. Wir haben die unseren abgebaut, weil sich unsere Außenpolitik nach dem Fall der Sowjetunion entscheidend geändert hat, weil sich die russische Gesellschaft selbst geändert hat. Wir wollen keine Konfrontation, wir wollen Zusammenarbeit. Und wir brauchen keine Basen in der Nähe von irgendjemandem, und wir planen nichts dergleichen. Das ist das Erste.
Das Zweite. Grundsätzlich, als Regel brauchen moderne Waffensysteme solche Basen nicht. Dieses sind allgemeine politische Entscheidungen.
NIKKEI: Ich bin hier der einzige Vertreter aus Asien. Ich möchte Sie gerne über Ihre Asienpolitik fragen. Was ist Ihre allgemeine Einstellung gegenüber asiatischenn Ländern?
Es ist möglich, daß Ihnen die Frage nicht gefällt, aber ich muß Sie dennoch auf die Nördlichen Territorien und den Disput zwischen Japan und Rußland ansprechen*
(*mit den nördlichen Territorien werden von Japan die Kurilen, eine Inselgruppe im Ochotskischen Meer bezeichnet, die seit dem Ende des zweiten Weltkriegs zur Sowjetunion und heute zu Rußland gehören. Hier lagern vermutlich 360 Mio. Tonnen Öl. Außerdem Gold, Eisen, Titan und andere Schätze. A.d.Ü.)
Ich habe gerade von Kollegen aus Tokio erfahren, daß Japan und Rußland am 7. Juni einen Gipfel abhalten werden. Und dabei wird Premierminister Abe natürlich auch das Thema der Nördlichen Territorien ansprechen. Er hat bereits sehr deutlich gesagt, daß er mit Ihnen, Herr Putin in dieser Frage zu einer endgültigen Entscheidung kommen möchte. Das bedeutet, daß Sie bis zumn Ende Ihrer Amtszeit die Angeklegenheit in irgendeiner Form ansprechen müssen. Was ist Ihre Antwort auf seine politischen Absichten?
VlADIMIR PUTIN: Wie Sie wissen befindet sich ein bedeutender Teil russischen Territoriums in Asien. Der asiatische Kontinent entwickelt sich außerordentlich schnell und ist sehr interessant für uns, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Er ist nicht nur interessant, weil wir über große Energiereserven verfügen, etwas, das asiatische Ländern fehlt und weswegen es die Möglichkeit gibt, auf dem Energiesektor zu kooperieren. Es gibt auch weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Wir glauben, daß wir im Bereich der Hochtechnologien Dinge haben, über die wir reden sollten und die Raum zur Zusammenarbeit geben. Wir haben große Erwartungen, daß eine solche Zusammenarbeit uns helfen wird, den asiatischen Teil Rußlands zu entwickeln. Im Laufe der letzten 15 Jahre haben wir Schwierigkeiten in dieser Region erlebt, darunter die Abwanderung der Bevölkerung aus diesen Gebieten. Wir beginnen jetzt mit Programmen, um diese russischen Regionen zu entwickeln und bemühen uns, Ihnen die größte Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Dies alles steht in Verbindung mit unserem Interesse an unseren asiatischen Partnern.
Sie wissen wahrscheinlich, daß sowohl unser Handel mit China, als auch der mit Japan im Wachsen begriffen ist. Ich glaube, er wuchs im letzten Jahr um annähernd 60 Prozent. Japanische Investoren kommen auf den russischen Markt, und das nicht nur im fernen Osten – auch in den europäischen Teil Rußlands. Wir begrüßen dieses Interesse an der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern.
Was die sogenannten umstrittenen Inseln betrifft, die Sie erwähnt haben: Wir halten sie nicht für umstritten, denn diese Situation war ein Ergebnis des zweiten Weltkriegs und wurde durch das internationale Recht und in internationalen Dokumenten bestätigt. Aber wir verstehen diue Motive unserer japanischen Partner. Wir wollen alle Auseinandersetzungen der Vergangenheit beiseitelassen und gemeinsam mit Japan einen Weg nach vorne suchen.
Ich möchte unterstreichen, daß mein eigener Eindruck ist, daß in der letzten Zeit in dieser Angelegenheit weniger Rhethorik betrieben wurde und die Diskussion geschäftsmäßiger und tiefgehender geworden ist. Das begrüßen wir. Und ich möchte gerne sagen, daß sich sogar die Sowjetunion über die Zeit in dieser Frage sehr flexibel gezeigt und im Jahr 1956 eine Erklärung unterzeichnet hat, nach der zwei Inseln bei der Sowjetunion bleiben sollten und zwei Japan zugesprochen wurden. Der Oberste Rat ratifizierte die Erklärung, ebenso Japan. Und dieses Dokument hätte tatsächlich in Kraft treten sollen. Aber unsere japanischen Partner lehnten das Dokument plötzlich ab, obwohl sie es bereits ratifiziert hatten. Man muß nicht weiter erwähnen, daß es unter solchen Umständen schwierig ist, beiderseitig akzeptable Lösungen zu finden. Dennoch, wir sind entschlossen, mit Ihnen zusammen zu arbeiten, um eine solche zu finden. Und ich freue mich schon, mit meinem japanischen Kollegen in Heiligendamm zusammenzutreffen. Ich hoffe, daß wir dazu kommen, speziell über dieses Thema zu sprechen, da die Konsultationen hierüber auf der Arbeitsebene, auf der Ebene der Experten nicht aufgehört haben. Im Gegenteil, in der letzten Zeit sind diese Gespräche intensiver geworden.
THE TIMES: Heutzutage sind die britischen Medien im Hinblick auf Rußland nur an zwei Fragen interessiert. Die erste ist der Fall Litvinenko. Und die zweite sind die Erfahrungen von BP und Shell in Rußland.
Ich möchte Ihnen gerne zwei Fragen stellen. Erstens, gibt es Umstände unter denen Rußland zustimmen würde, Lugovoi auszuliefern.
Und die zweite Frage ist: Nach den Erfahrungen von BP und Shell in Rußland – sollten britsche Firmen in Rußland investieren.
VLADIMIR PUTIN: Gibt es Umstände, unter denen Rußland Lugovoi ausliefern würde? Es gibt sie. Die Verfassung der Russischen Föderation müßte geändert werden. Das ist das erste.
Zweitens: Selbst wenn die Verfassung geändert würde, bräuchte man natürlich gültige Gründe für eine Auslieferung. Nach den Informationen, die ich vom Generalstaatsanwalt erhielt, hat uns die britische Seite noch keine ausreichenden Gründe hierfür geliefert. Es gibt ein Auslieferungsersuchen, aber kein Material, das die Gründe liefert, warum wir ihm nachkommen sollten. Dieses Ersuchen hat keine Substanz, wie es die Diplomaten ausdrücken: Es ist nicht von dem Faktenmaterial unterstützt, das die Grundlage darstellt, auf der unsere britischen Kollegen uns aufforderten, Lugovoi auszuliefern.
Schließlich, als Drittes: Wie Sie wissen, wird in Großbritannien eine kriminalistische Untersuchung des Todes von Litvinenko durchgeführt. Wenn unsere Strafverfolgungsbehörden ausreichend Material zusammentragen, um jemanden vor Gericht zu bringen, wenn es genügend Beweismaterial in Verbindung mit irgendeinem Bürger der Russischen Föderation gibt, um dieses einem Gericht vorzulegen, so wird dies sicherlich getan werden. Und ich hoffe sehr, daß unsere britischen Kollegen uns hierbei wirksam unterstützen werden. Nicht einfach, indem sie die Auslieferung von Lugovoi verlangen, sondern auch, indem sie genügend Beweise liefern, so daß wir den Fall vor ein Gericht bringen können. Wir werden dies in Rußland tun und jede Person verurteilen, die des Mordes an Litvinenko für schuldig befunden wird.
Und nun noch zum Auslieferungsersuchen selbst. Ich habe sehr gemischte Gefühle in Bezug auf dieses Ersuchen. Wenn die Leute, die dieses Ersuchen stellten, nicht wußten, daß die russische Verfassung die Auslieferung russischer Bürger an andere Länder verbietet, dann muß man sicherlich ihre Kompetenz in Frage stellen. Im Allgemeinen sollten die Leiter solcher hochrangiger Strafverfolgungsbehörden solches wissen. Und wenn sie es nicht wissen, dann sind sie in Strafverfolgungsbehörden fehl am Platz und gehören anderswo hin. Ins Parlament zum Beispiel, oder in den Journalismus. Aber auf der Seite, wenn sie das Ersuchen wider besseres Wissen gestellt haben, dann ist es einfach eine Publicity-Aktion. Mit anderen Worten, man kann das Problem drehen und wenden wie man will, man sieht auf jeden Fall Dummheit am Werk. Wenn sie es nicht wußten, dann sind sie inkompetent und wir fragen uns, was sie dort eigentlich gemacht haben. Und wenn sie es wußten und es trotzdem taten, dann ist das reine Politik. Beide Optionen sind schlecht.
Ein letzter Punkt. Ich denke, nachdem die britische Regierung einer beträchtlichen Anzahl von Kriminellen, Dieben und Terroristen gestattet hat, sich in Großbritannien zu versammeln, haben sie eine Umgebung geschaffen, die das Leben und die Gesundheit von britischen Bürgern gefährdet. Und alle Verantwortung hierfür liegt auf der britischen Seite.
Shell. Ich möchte die Frage deutlich machen.Woran sind Sie in Bezug auf Shell und BP interessiert? Shell auf Sachalin, ist das richtig?
THE TIMES: Ja, es ist eine Frage über Sachalin, über die Genehmigung von BP. Wird es erforderlich sein, die Genehmigung zu widerrufen oder können sie erwarten, die Genehmigung zu behalten?
VLADIMIR PUTIN: Haben Sie die ursprüngliche Übereinkunft gelesen? Haben Sie sie je gelesen?
THE TIMES: Ja.
VLADIMIR PUTIN: Gefiel es Ihnen, was dort geschrieben stand? Wissen Sie, das ist ein kolonialistischer Vertrag, der nichts mit den Interessen der russischen Föderation zu tun hat. Ich kann es nur bedauern, daß russische Beamte in den frühen 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts solches zuließen, Dinge, für die sie ins Gefängnis gehörten. Die Umsetzung dieses Vertrages schuf eine Situation, in der Rußland über einen langen Zeitraum hinweg zuließ, daß seine natürlichen Rohstoffe ausgebeutet wurden, ohne dafür irgendetwas als Gegenleistung zu erhalten. So gut wie nichts. Aber wenn unsere Partner ihren Verpflichtungen korrekt nachgekommen wären, hätten wir sicherlich keine Chance gehabt, die Situation zu korrigieren. Aber sie sind schuldig, gegen Umweltgesetze verstoßen zu haben. Dies ist eine allgemein akzeptierte Tatsache, die von objektiven Fakten gestützt wird. Und ich muß sagen, daß unsere Partner dies noch nicht einmal leugnen. Umweltexperten haben die Beweise bestätigt. Zufälligerweise hat Gazprom verschiedene Angebote von ihren Partnern erhalten, schon früher in dieses Projekt einzusteigen, hatte dies aber abgelehnt. Aber nachdem die Umweltprobleme sichtbar wurden und Strafen drohten, glaube ich, daß Gazproms Eintritt daß Projekt ganz einfach rettete.
Und schließlich noch eine letzte Bemerkung. Gazprom handelte nicht einfach auf unsere Veranlassung hin, um etwas wegzunehmen. Gazprom zahlte eine große Geldsumme, um in das Projekt einzusteigen – 8 Milliarden US Dollar. Das ist ein Marktpreis. Und soweit ich es verstanden habe, waren die am Projekt beteiligten Partner zufrieden, weil allen Vereinbarungen und Bedingungen des Vertrages entsprochen wurde und niemand das Ziel des Vertrags in Frage stellt. Unsere ausländischen Partner empfangen alle Resourcen, mit denen sie im Rahmen dieses Projektes gerechnet hatten. Ich denke, dies ist ein gutes Beispiel für Zusammenarbeit und dafür, wie wir unserer Verantwortung entsprechen, auch angesichts von Situationen, die zu Beginn der 1990er Jahre entstanden, Situationen, die eindeutig außerhalb des Rahmens der Gesetze bestanden.
Was BP betrifft, so wissen Sie, daß jedes Land bestimmte Regeln über Arbeiten unterhalb der Erdoberfläche hat. Diese Regeln gibt es auch in Rußland. Wenn irgendjemand der Meinung ist, daß er sich in Rußland nicht an diese Regeln halten muß, so ist er im Irrtum. Das betrifft nicht nur BP. Wenn Sie sich auf die Lagerstätten von Kovyktinskoye beziehen – und offensichtlich tun Sie das – so gibt es außer BP noch eine Reihe russischer Firmen, die an dem Projekt beteiligt sind. Also berührt dies nicht nur BP, sondern auch die Firma von Herrn Wechselberg und die Firma von Herrn Potanin. Sie alle sind wirtschaflich in Rußland ansässig. Aus diesem Grund ist die Affäre nicht auf BP, einen ausländischen Partner beschränkt, sondern betrifft alle Anteilseigner, die sich der Erschließung der dortigen Lagerstätten widmen und es unglücklicherweise versäumt haben, den Bedingungen ihrer Genehmigung zu entsprechen. Sie haben noch nicht mit der Erschließung begonnen. Nach den Bedingungen der Genehmigung sollten sie mit der Förderung bereits im letzten Jahr begonnen haben. Genauer gesagt, nicht nur begonnen, sondern sie sollten bereits eine bestimmte Menge Gas gefördert haben. Unglücklicherweise haben sie das nicht getan.
Und hierfür kann man eine große Zahl von Gründen finden, darunter auch, daß es notwendig war, an ein Pipeline-System angeschlossen zu sein. Aber das wußten sie bereits, als sie sich um die Genehmigung bewarben. Sie wußten um die Probleme und möglichen Beschränkungen. Dessen ungeachtet bewarben sie sich und bekamen die Genehmigung. Ich will gar nicht darüber reden, wie sie diese Genehmigung erhielten. Wir lassen das im Bewußtsein jener, die dies zu Beginn der 1990er Jahre zuließen.
Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache ziehen, daß sich die Gasreserven in jener Lagerstätte auf ungefähr 3 Billionen Kubikmeter belaufen. Um diese Größenordnung und ihre Bedeutung für Rußland zu verstehen, könnte man sagen, daß dies beinahe den gesamten Reserven Kanadas entspricht. Aber wenn die an dem Konsortium Beteiligten nichts unternehmen, um ihre Genehmigung zu nutzen – wie lange sollen wir warten?
Wie bekannt, erwägt das Ministerium für natürliche Resourcen, die Genehmigung zu widerrufen. Gegenwärtig, laufen die Verhandlungen hierüber, und ich weiß nicht, mit welchem Ergebnis sie enden werden. Ich weiß nicht, welche Entscheidung das Ministerium für natürliche Resourcen und die Aktionäre des Unternehmens treffen werden. Ich spreche absichtlich von den Aktionären des Unternehmens BP und nicht einfach über den russischen Teil des Konzerns, der die Erschließung der Lagerstätten von Kovyktinskoye vorbereitete, denn die weltweiten Reserven des Konzerns wachsen zu einem großen, oder zu einem entscheidenden Teil auf Rußlands Kosten. Wenn sie mit der vorherigen oder der gegenwärtigen BP-Leitung sprechen, werden sie dies bestätigen.
Darüber hinaus stammen 25 Prozent der Erträge von BP aus Aktivitäten innerhalb der russischen Föderation. Wir begrüßen die Teilnahme dieses Unternehmens an der russischen Wirtschaft, und wir werden weiterhin Unternehmen unterstützen und helfen, aber wir wollen, daß sich ihre Aktivitäten im Rahmen der bestehenden Gesetze abspielen.
KOMMERSANT: Vladimir Vladimirowitsch, meiner Meinung nach entwickeln sich Rußlands Beziehungen mit dem Westen in einer katastrophalen Geschwindigkeit. Wenn man sie prüfend betrachtet, so wird erkennbar, daß sich alles zum schlechteren entwickelt: Der Energie-Dialog ist eingefroren, niemand redet mehr über die Energie-Charta, das Wettrüsten schreitet voran. Und sie selbst erkennen dies an. Gestern noch sagten Sie: ja, es gibt einen Rüstungswettlauf – Sie benutzten genau diese Worte. und es gibt ein neues Wort in Ihrem Vokabular, das vorher nicht auftauchte: das Wort ‚Imperialismus‘. Das ist ein Wort aus den Zeiten der Sowjetunion. Amerikanischer Imperialismus und israelischer Militarismus sind beides Ausdrücke, die Sie erinnern müssen. Und sie wurden nur von sowjetischen Friedensinitiativen vorgebracht, so wie sie jetzt von russischen Friedensinitiativen vorgebracht werden. Ich möchte Sie fragen: Meinen Sie nicht, daß es möglich ist, über bestimmte Kompromisse zu verhandeln, sich für Kompromisse zu engagieren, gelegentlich sogar – und sei es auch nur für den guten Eindruck – auf die öffentliche Meinung in Europa, in Amerika und schließlich auch in Rußland zu sehen? Glauben Sie nicht auch, daß der gegenwärtige Kurs nirgendwohin führt? Er wird … er gewinnt sogar noch an Momentum, mit diesem Wettrüsten, mit unseren Raketen. Zu welchem Zweck?
VLADIMIR PUTIN: Offen gestanden erscheint mir Ihre Frage recht merkwürdig und unerwartet. Tatsächlich entwickelt sich gerade ein Wettrüsten. Aber waren wir es, die sich aus dem ABM Vertrag zurückgezogen haben? Wir müssen auf das reagieren, was unsere Partner tun. Wir haben ihnen bereits vor zwei Jahren gesagt „Tut das nicht, Ihr braucht dies nicht zu tun. Was tut Ihr? Ihr zerstört das System der internationalen Sicherheit. Ihr müßt verstehen, daß Ihr uns zwingt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen“ Sie sagten: „In Ordnung, macht weiter. Wir sind keine Feinde. Macht was Ihr wollt.“ Ich glaube, dies wurde aus der Illusion geboren, daß Rußland nichts habe, mit dem es antworten könnte. Aber wir warnten sie. Nein, sie hörten nicht auf uns. Dann hörten wir, wie sie Nuklearwaffen mit begrenzter Sprengkraft entwickelten, und sie arbeiten weiter daran, diese Sprengköpfe zu entwickeln. Wir verstehen, daß es in den Felsen, wo sich Bin Laden versteckt, nötig sein könnte, sagen wir, einen Teil seines Unterschlupfes zu zerstören. Ja, ein solches Ziel existiert wahrscheinlich.
Aber vielleicht wäre es besser, nach anderen Wegen und Mitteln Ausschau zu halten, um das Problem zu lösen, anstatt Atomwaffen mit begrenzter Sprengkraft zu entwickeln, die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen zu senken und die Menschheit auf diese Weise an den Rand einer nuklearen Katastrophe zu bringen. Aber sie hören nicht auf uns. Wir sagen: Installiert keine Waffen im Weltraum. Wir wollen das nicht tun. Nein, es geht weiter: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“. Was ist das? Ist das ein Dialog oder die Suche nach einem Kompromiss. Der ganze Dialog kann in diesem Satz zusammengefaßt werden: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns.
Ich sprach darüber, wie wir den ACAF Vertrag, den Vertrag über die Anpassung der konventionellen Streitkräfte in Europa umsetzen. Wir haben ihn tatsächlich durchgeführt. Und es gibt Inspektionsteams, die vor Ort gehen. Unsere westlichen Partner prüfen und sehen alles. Wir haben diese Dinge umgesetzt. Und als Antwort bekommen wir Militärbasen und ein Raketenabwehrsystem. Also was sollten wir tun?
Sie sprachen über die öffentliche Meinung. Die öffentliche Meinung in Rußland ist dafür, unsere Sicherheit zu gewährleisten. Wo finden Sie eine Öffentlichkeit, die die Vorstellung befürwortet, daß wir vollständig abrüsten müssen, und dann vielleicht, wie es Theoretiker wie Zbigniew Brzezinski vorschlagen, auch noch unser Territorium in drei oder vier Teile aufteilen?
Wenn es eine solche Öffentlichkeit gäbe, würde ich mit ihr streiten. Ich wurde nicht zum Präsidenten der Russischen Föderation gewählt, um mein Land an den Rand einer Katastrophe zu bringen. Und wenn dieses Gleichgewicht in der Welt schließlich zerstört wird, dann wird es eine Katastrophe nicht nur für Rußland sondern auch für die gesamte Welt sein.
Einige Leute haben die Illusion, daß man alles tun kann, was man möchte, ohne auf die Interessen anderer Leute Rücksicht zu nehmen. Natürlich ist genau dies der Grund dafür, daß die internationale Situation sich verschlechtert, was schließlich, wie sie aufzeigten in ein Wettrüsten mündet. Aber wir sind nicht die Verursacher. Wir wollen das nicht. Warum sollten wir Resourcen auf so etwas verschwenden? Und wir gefährden auch nicht unsere Beziehungen mit irgendjemandem. Aber wir müssen antworten.
Nennen Sie auch nur einen Schritt, den wir unternommen haben, oder eine unserer Handlungen, die geeignet waren, die Situation zu verschlechtern. Es gibt keine. Wir haben kein Interesse an so etwas. Wir sind daran interessiert, um Rußland herum eine gute Atmosphäre, gute Umgebung und einenEnergiedialog zu haben.
Wir haben schon darüber gesprochen, wie wir Länder, die früheren Republiken der Sowjetunion finanziell unterstützen, indem wir sie seit 15 Jahren mit billiger Energie versorgen. Warum sollten wir das tun, was ist die Logik dahinter, was ist die Rechtfertigung hierfür? Wir haben die Ukraine über 15 Jahre subventioniert, mit drei oder vier Milliarden Dollar jährlich. Denken Sie mal darüber nach! Wer sonst in der Welt tut so etwas? Und unser Handeln hat keine politischen Absichten. Das sind keine politischen Aktionen.
Das beste Beispiel und der Beweis hierfür – ich sprach noch vor kurzem auf einer Pressekonferenz darüber – sind die baltischen Länder, die wir ebenfalls über all diese Jahre subventioniert haben. Als wir realisierten, daß sich die baltischen Staaten um aufrichtige wirtschaftliche Beziehungen mit uns bemühten, und daß sie bereit waren, zu Weltmarktpreisen, zu europäischen Preisen überzugehen, kamen wir Ihnen auf halbem Wegeentgegen. Wir sagten: „Gut. Wir werden Euch weiterhin Energie zu Dicountpreisen liefern. Laßt uns auf einen Zeitplan einigen, innerhalb dessen wir zu europäischen Preisen übergehen.“ Wir einigten uns mit ihnen und unterzeichneten die relevanten Dokumente. Innerhalb von drei Jahren hatten sie einen sanften Übergang zu europäischen Preisen geschafft. Trotz der Tatsache, daß wir keinen Grenzvertrag mit Lettland haben und es über diese Frage ernsthafte politische Meinungsverschiedenheiten gab, erhielt Lettland bis zum letzten Jahr billiges Gas. Insgesamt war das Gas, das Lettland im Jahr 2006 erhielt um ein Drittel billiger, als es beispielsweise für Deutschland war. Fragen Sie den lettischen Außenminister und er wird Ihnen dies bestätigen.
Als sich die ukrainische Frage erhob, wurde uns gesagt, dies sei eine politische Angelegenheit, und man beschuldigte uns Lukaschenkos Regime zu unterstützen, ein Regime, von dem westliche Länder nicht sehr begeistert sind. Wir sagten: „Hört zu, zuallererst einmal können wir nicht an allen Fronten Krieg erklären. Zweitens planen wir, mit allen unseren Partnern zu Marktpreisen überzugehen. Es wird die Zeit kommen, wenn wir das auch mit Belorußland umsetzen werden.“ Das taten wir, doch, als wir es getan hatten, begann der Lärm, auch in den westlichen Medien: Was tun wir da, warum schaden wir dem kleinen Belorußland? Ist dies eine faire und anerkennende Haltung Rußland gegenüber? Wir gingen zu einem einheitlichen Preissystem mit allen Ländern im Kaukasus über – mit denen wir nicht besonders gute politische Beziehungen haben – und mit Armenien, mit dem wir exzellente Beziehungen und eine strategische Allianz unterhalten. Wir haben sehr wohl eine Menge Kritik gehört, darunter auch von unseren armenischen Partnern, aber am Ende waren wir fähig, einander zu verstehen und einen Weg nach vorne zu finden. Sie konnten nicht den gesamten Preis in bar bezahlen und zahlen darum in Naturalien, in physischen, lebenden Vermögenswerten. All dies ist schriftlich niedergelegt. Niemand kann uns beschuldigen, diese Angelegenheiten zu politisieren. Wir sind nicht im Begriff, große Geldsummen zur Subventionierung der Ökonomien anderer Länder auszugeben. Wir sind bereit, Integration auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion voranzutreiben, aber es muß eine Integration mit gleichen Bedingungen für beide Seiten sein. Aber wissen Sie, man tritt unseren Interessen immer näher, und jedermann erwartet zunehmend, daß wir diese Interessen nicht verteidigen. Wenn wir wollen, daß Ordnung herrscht und das internationale Recht Geltung hat, müssen wir dieses Recht und die Interessen aller Mitglieder der internationalen Gemeinschaft respektieren. Das ist alles.
KOMMERSANT: Als ich die öffentliche Meinung in Rußland erwähnte, bezog ich mich auf die Tatsache, daß, so wie ich es verstehe, die öffentliche Meinung in Rußland entschieden gegen ein neues Wettrüsten ist, nach dem die Sowjetunion das letzte verlor.
VLADIMIR PUTIN: Und ich bin auch gegen ein Wettrüsten. Ich bin gegen jede Art von Wettrüsten, aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit rasch auf etwas richten, das ich in meiner Rede vor der Bundesversammlung (Duma) im letzten Jahr sagte. Wir haben aus den Erfahrungen der Sowjetunion gelernt und werden uns von niemandem ein Wettrüsten aufzwingen lassen. Wir werden nicht symmetrisch antworten, wir werden mit anderen Methoden und Mitteln antworten, die nicht weniger wirksam sind. Das wird als asymmetrische Antwort bezeichnet.
Die Vereinigten Staatten errichten ein großes und teures Raketenabwehrsystem, das Dutzende von Milliarden Dollar kosten wird. Wir sagten: „Nein, wir werden nicht in dieses Wettrüsten hineingezogen. Wir werden Systeme bauen, die wesentlich billiger sein werden und doch effektiv genug, das Raketenabwehrsystem zu überwinden, damit das Gleichgewicht der Mächte in der Welt erhalten bleibt.“ Diesen Wege werden wir auch künftig verfolgen.
Darüber hinaus möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß trotz unserer Gegenmaßnahmen das Volumen unserer Rüstungsausgaben in Prozent des Bruttosozialproduktes nicht wächst. Es waren 2,7 Prozent des Bruttosozialproduktes, und werden es weiterhin sein. Wir planen, diesen Betrag für Rüstungsausgaben in den nächsten fünf bis zehn Jahren beizubehalten. Das entspricht auch vollkommen den Rüstungsausgaben von NATO-Ländern. Dieser Betrag ist nicht höher als die durchschnittliche Rüstungsausgaben von NATO-Mitgliedsstaaten und liegt in einigen Fälllen sogar darunter. Und wir können auch unsere Wettbewerbsvorteile nutzen, darunter recht fortschrittliche militärisch-induustrielle Fähigkeiten und die intellektuellen Fähigkeiten der Leute, die in diesem Bereich arbeiten. Es gibt gute Ergebnisse und gute Leute. Auf jeden Fall blieb vieles hiervon erhalten, und wir werden alles Mögliche tun, um dieses Potential nicht nur zu erhalten, sondern auch weiter zu entwickeln.
CORRERE DE LA SERRA: Herr Präsident, zwei weitere Punkte im Hinblick auf die strategische Balance in Europa. Ich möchte Sie fragen, ob Sie glauben, daß der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty- INF-Vertrag. Als INF-Verträge oder als Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme bezeichnet man die Verträge über die Vernichtung aller Raketen mit mittlerer und kürzerer Reichweite (500 bis 5500 Kilometer) und deren Produktionsverbot zwischen der UdSSR und den USA vom 8. Dezember 1987. Quelle: Wikipedia)
gegenwärtig in Gefahr ist, und ob er angesichts der Umsetzung des ACAF (Adapted Conventional Armed Forces Treaty in Europe) an Bedeutung verlieren könnte.
Und der zweite Punkt: Sie sagten, daß Sie nicht an einem Wettrüsten teilnehmen wollen. Aber wenn die USA damit fortfahren, einen strategischen Schutzschild in Polen und der Tschechischen Republik zu errichten, werden wir dann nicht zu jenen Zeiten zurückkehren, in denen die Nuklearwaffen der Sowjetunion auf europäische Städte, auf europäische Ziele gerichtet waren.
VLADIMIR PUTIN: Sicher. Natürlich werden wir in jene Zeiten zurückkehren. Wenn ein Teil der nuklearen Streitmacht der USA in Europa stationiert ist und unsere Militärexperten der Ansicht sind, daß dies eine potentielle Bedrohung für uns darstellt, ist es klar, daß wir angemessene Gegenmaßnahmen ergreifen müssen. Was für Maßnahmen? Natürlich werden wir neue Ziele in Europa auswählen müssen. Die genaue Bestimmung der Mittel, die gebraucht werden, um die Einrichtungen zu zerstören, von denen unsere Experten glauben, daß sie eine potentielle Bedrohung für die Russische Föderation darstellen, ist eine Frage der Technologie. Ballistische Raketen oder Marschflugkörper, oder ein vollständig neues System. Ich wiederhole, das ist eine Frage der Technologie.
CORRIERE DE LA SIERRA: Und was ist mit dem INF-Vertrag?
VLADIMIR PUTIN: Der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme ist ein umfassenderes Problem und nicht unmittelbar verbunden mit dem Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten.
Die Frage, um die es hier geht, ist, daß nur die USA und Rußland daran gehindert sind, Mittelstreckensysteme zu entwickeln, während viele andere Länder dies tun. Darüber habe ich schon gesprochen. Israel, Pakistan, Iran und Nordkorea sind darunter. Wäre dies ein umfassendes Abkommen, wäre klar, daß sich alle daran halten müssen. Aber wenn fast alle Länder in der Welt diese Waffen entwickeln, oder planen, sie zu entwickeln, verstehe ich nicht, warum es Einschränkungen weder für die USA noch für Rußland geben sollte.
Wir haben Abkommen über die Nicht-Verbreitung. Das ist klar. Diese Abkommen sind umfassend. Wir finden es schwierig, aber bis jetzt haben wir die Welt davon abgehalten, irgendwelche Schritte zu unternehmen, die die Situation verschärfen könnten, oder, Gott möge es verhüten, in einer Katastrophe enden könnten.
Und ich wiederhole, daß diese Abkommen im Hinblick auf Mittelstreckensysteme nicht umfassend sind, so daß wir mit Sicherheit darüber nachdenken, was wir tun müssen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Ich wiederhole, daß viele Länder, darunter unsere Nachbarn, dabei sind, das zu tun.
Und ich möchte noch einmal betonen, daß dies nichts mit den Plänen der Vereinigten Staaten zu tun hat, ein Raketenabwehrsystem in Europa aufzustellen. Aber wir werden Antworten auf beide Bedrohungen finden.
LE FIGARO: Herr Präsident, auf dem G8-Gipfel werden Sie den neugewählten Präsidenten Sarkozy treffen. Sie hatten eine enge Arbeitsbeziehung mit Präsident Chirac, dem vorherigen Präsidenten Frankreichs. Wie stellen sie sich die Entwicklung der Beziehungen zwischen Rußland und Frankreich unter der Präsidentschaft von Sarkozy vor, wo Herr Sarkozy als Freund Amerikas angesehen wird und man erwartet, daß sich seine Außenpolitik auf Menschenrechte konzentrieren wird?
VLADIMIR PUTIN: Wissen Sie, ich wäre sehr glücklich, wenn sich jemand auf das Thema Menschenrechte konzentrierte. Ich habe gerade den Report von Amnesty International gelesen, und da gibt es viele Punkte, die nicht nur Rußland betreffen, sondern auch unsere Partner, auch unter den G8. Die Kritik ist sehr harsch: Dinge wie die Verletzung der Rechte der Medien, Folter, Polizisten, die Festgenommene mißhandeln, Einwanderungsgesetzgebung. Ich denke, wir alle sollten diesen Angelegenheiten Aufmerksamkeit schenken.
Und ich kann nur glücklich darüber sein, wenn jemand ein Freund der Vereinigten Staaten ist, weil wir selbst uns auch als Freunde der Vereinigten Staaten verstehen. Ich sage das ohne Übertreibung, auch wenn Sie hier angesichts der Tatsache, daß wir gerade Probleme, wie die Raketenabwehr, den ACAF-Vertrag und andere so hitzig diskutieren, vielleicht einen Widerspruch sehen. Es mag sie nicht überzeugen, aber es ist der Fall. Unsere Beziehungen sind sehr anders als noch vor, sagen wir 15 oder 20 Jahren. Und wenn der US-Präsident sagt, daß wir nicht länger Feinde sind, dann glaube ich ihm das nicht nur, dann fühle ich selbst das auch so. Denn die Angelegenheit ist nicht auf die Frage beschränkt, wer wessen Freund ist und wessen Freundschaft die stärkere ist. Die Frage, um die es hier geht, ist, wie die internationale Sicherheit zu verstärken ist, was wir tun müssen, um dies zu erreichen und was uns daran hindert, dies zu tun. Und in dieser Hinsicht haben wir unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Meinungen. Wir haben einen Standpunkt, unsere amerikanischen Partner haben einen anderen.
Soweit ich es nach einer von Herrn Sarkozys ersten öffentlichen Erklärungen sagen konnte, betonte er, daß er in der Tat ein Freund der Vereinigten Staaten sei. Aber gleichzeitig sagte er, das bedeute nicht, daß wir über alles übereinstimmen müssen, und unsere Freunde müssen zugeben, daß wir in einer Reihe von Fragen unsere eigene Meinung haben können.
Ich kann dies nur begrüßen, denn ich persönlich habe genau den gleichen Ansatz gewählt. Und ich sehe nichts Ungewöhnliches daran, wenn wir unseren Ansichten Ausdruck verleihen und unsere Position in einer bestimmten Frage verteidigen. Wie könnte das ungewöhnlich sein?
Auf die Frage zu unseren Beziehungen zu Frankreich: Sie sind tiefgehend, es gibt gegenseitige politische Interessen, gemeinsame Interessen. Wir haben ähnliche Positionen in vielen internationalen Fragen. Es gibt eine Menge wirtschaftlicher Zusammenarbeit sowie, überaus wichtig, ein sehr hohes Potential für weitere Zusammenarbeit. All dies schafft eine gute Basis für die Entwicklung künftiger Beziehungen. Ich hoffe sehr, daß es hierzu kommt. Während des Gesprächs, daß ich mit dem neugewählten Präsidenten Frankreichs am Telefon hatte, sprachen wir auf jedenfalls darüber, wie die französische Regierung ähnlich positive Arbeit angehen wollte. Wir haben einn Treffen mit dem französischen Präsidenten während des Gipfels geplant, wir werden uns gegenseitig kennenlernen. Ich denke, wir werden gute Arbeitsbeziehungen und gute persönliche Beziehungen entwickeln. Auf jeden Fall möchte ich dies, und wir werden hart arbeiten, um es zu erreichen.
LE FIGARO: Lassen Sie mich eine Frage über Gas stellen. Sie betrifft die Erschließung der Shtokman-Lagerstätten mit Gazprom. Gazprom hat entschieden, die Shtokmann-Lager alleine zu erschließen, ohne das Konsortium. Und wie Sie wissen, ist dies ein Test für das Investitionsklima in Rußland. Denken Sie, daß es irgendeine Möglichkeit gibt, daß westliche Ölfirmen an diesem Projekt beteiligt werden?
VLADIMIR PUTIN: Gazprom hat nicht gesagt, daß es kein Konsortium geben wird. Gazprom hat angekündigt, das Shtokman-Lager selbst zu erschließen. Dieses sind Dinge, die wir auseinanderhalten müssen. Gazprom wird der alleinige Erschließer und Eigentümer sein, aber das bedeutet nicht, daß Gazprom nicht beabsichtigt, zu versuchen, mit ausländischen Partnern in Bereichen wie dem Bergbau zusammen zu arbeiten. Und wenn wir in die Verflüssigung von Gas einsteigen, wird Gazprom bereit sein, weiterhin auf breiter Linie mit ausländischen Partnern zusammenzuarbeiten, etwa bei Planung und Bau einer Anlage zur Verflüssigung von Gas, in der Verteilung und beim Verkauf des Gases.
THE GLOBE AND MAIL: Es zirkulieren Gerüchte, daß Rußland nicht länger Mitglied der G8 sein sollte. Sie besagen, daß Ihr Land sich von den Werten liberaler Demokratien entfernt, daß es nicht in der Lage war, die Situation im Hinblick auf politische Freiheit, Transparenz, die Entwicklung der Menschenrechte und so weiter zu verbessern. Manche sagen, daß sich Teile der russischen Wirtschaft von den Prinzipien der freien Wirtschaft entfernt haben und jetzt wieder in den Händen des Staates sind. Dieser Auffassung folgend sollte Ihr Land nicht weiter als zu den Industrienationen zugehörig angesehen werden, die die G8 bilden.
Wie antworten Sie auf solche Beschuldigungen?
VLADIMIR PUTIN: Ich würde sagen, daß dies die übliche Stupidität ist, vielleicht motiviert durch das Bedürfnis, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, vielleicht einige politische Ziele zu erreichen, Probleme zu verschärfen, oder diesen Angelegenheiten besondere Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Wir haben nicht darum gebeten, in die G8 aufgenommen zu werden. Man hat es uns angeboten, und wir sind erfreut, dabei zu sein.
Wie Sie wissen, ist Rußland dabei, sich zu ändern, und es ändert sich sehr schnell. Nach wirtschaftlichen Begriffen sind wir jetzt an neunter Stelle in der Welt, und nach einigen Indikatoren haben wir bereits bestimmte G8-Länder überholt.
Rußland hat enorme Gold- und Währungsreserven, die drittgrößten der Welt. Rußland hat eine sehr gesunde makroökonomische Politik und beeinflußt auf diese Weise den globalen Finanzmarkt. Dies geschieht vielleicht heute noch nicht in sehr entscheidendem Ausmaß, ist aber gleichwohl bedeutend.
Rußland ist einer der Hauptakteure in der internationalen Energiepolitik. Ich sagte letztes Jahr, daß wir als Ölproduzenten an erste Stelle gerückt sind, vor alle anderen. Und schon seit langem werden wir als der größte Produzent von Erdgas geführt. Rußlands Rolle und Bedeutung auf dem Energiesektor wachsen und werden weiter zunehmen.
Schließlich ist Rußland eine der größten Nuklearmächte. Lassen Sie uns nicht vergessen, daß Rußland eines der Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen und permanentes Mitglied im Sicherheitsrat ist.
Wenn jemand die G8 in einen exklusiven Club für einige wenige Mitglieder verwandeln will, die versuchen werden, die Probleme der Menschheit untereinander zu lösen, so denke ich, daß nichts Gutes dabei herauskommen wird.
Im Gegenteil untersuchen wir gerade die Idee, den Club der G8 im Hinblick auf die systematischere Einbeziehung anderer Länder wie China, Indien, Brasilien, Mexico und die Republik Südafrika auszuweiten.
Lassen Sie uns nicht heuchlerisch im Bezug auf demokratische Freiheiten und Menschenrechte sein. Ich habe bereits gesagt, daß ich eine Kopie des Berichts von Amnesty International habe, der auch die Vereinigten Staaten von Amerika einbezieht. Es besteht wahrscheinlich keine Notwendigkeit, dies noch einmal zu wiederholen, um niemandem zu nahe zu treten. Wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen jetzt vortragen, welches Bild die USA in dieser Hinsicht abgeben. Wir haben einen Ausdruck, der vielleicht schwierig zu übersetzen ist, aber er besagt, daß man immer vieles über andere sagen kann. Amnesty International ist zu dem Schluß gekommen, daß die USA der größte Verletzer von Menschenrechten und Freiheiten weltweit ist. Ich habe das Zitat hier, ich kann es Ihnen zeigen. Und es gibt Argumente, die dies stützen.
Es gibt ähnliche Behauptungen über Großbritannien, Frankreich oder die Bundesrepublik Deutschland. Dasselbe kann über Rußland gesagt werden. Aber lassen Sie uns nicht vergessen, daß andere Länder nicht die dramatischen Umwandlungen erfahren haben, wie sie die Russische Föderation durchlaufen hat. Sie haben keinen Bürgerkrieg erlebt, wie wir ihn tatsächlich im Kaukasus hatten.
Und dennoch haben wir viele der sogenannten Grundwerte besser bewahrt als einige andere G8-Länder. Trotz der ernsten Konflikte im Kaukasus haben wir unser Moratorium zur Todesstrafe nicht aufgehoben. Wie wir wissen, wird die Todesstrafe in einigen G8-Ländern ziemlich durchgängig angewandt und strikt durchgeführt.
Also denke ich, daß solche Diskussionen sicherlich möglich sind, aber ich bin sicher, daß sie keine ernsthafte Rechtfertigung haben.
Lassen Sie mich noch einmal sagen, daß die deutsche Präsidentschaft meines Wissens nach die Regeln formulieren möchte, nach denen mit einigen der größeren Ökonomien auf laufender Basis umzugehen ist. Ich habe diese Länder bereits aufgezählt und sicherlich unterstützen wir unsere deutschen Partner. Ich denke, diese ist Initiative ist absolut wertvoll.
THE GLOBE AND MAIL: Eine Zusatzfrage: Sie sprachen über die Probleme einer unipolaren Welt. Haben Sie die Möglichkeit erwogen, eine Art von Allianz zu schaffen, eine formale Beziehung zwischen Ländern, die als alternativer Pol im System der internationalen Beziehungen gesehen werden könnnte?
VLADIMIR PUTIN: Ich denke, dies wäre eine Sackgasse, der falsche Weg, die Situation zu entwickeln. Wir sind für eine multipolare Welt. Wir glauben, sie sollte vielfältig sein und die Interessen der überwältigenden Mehrheit der internationalen Gemeinschaft respektieren. Wir müssen diese Regeln schaffen und lernen, sie zu respektieren.
DER SPIEGEL: Herr Präsident, der fühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Sie einen ‚lupenreinen Demokraten‘ genannt. Halten Sie sich selbst für einen solchen?
VLADIMIR PUTIN: (lacht) Bin ich ein ‚lupenreiner Demokrat‘? Natürlich bin ich das, absolut. Aber wissen Sie, was das Problem ist? Noch nicht einmal ein Problem, aber eine regelrechte Tragödie? Das Problem ist, ich bin vollkommen alleine, der einzige meiner Art in der ganzen weiten Welt. Sehen Sie nur, was in Nordamerika geschieht, es ist einfach schrecklich: Folter, Obdachlose, Guantanamo, Menschen, die ohne Verhandlung und Untersuchung in Haft genommen werden. Sehen Sie sich nur an, was in Europa geschieht: Harte Behandlung für Demonstranten, Gummigeschosse und Tränengas, zuerst in der einen Hauptstadt eingesetzt, dann in der nächsten, Demonstranten auf der Straße getötet. Und die Länder des ehemaligen Einflußgebietes der Sowjetunion wollen wir gar nicht erwähnen. Nur die Jungs in der Ukraine gaben noch Anlaß zur Hoffnung, aber mittlerweile sind auch sie vollständig diskreditiert und die Dinge bewegen sich dort in Richtung totaler Tyrannei, vollständige Verletzung der Verfassung und des Gesetzes und so weiter. Seit Mahatma Ghandi starb, gibt es keinen mehr, mit dem man reden könnte,.
DER SPIEGEL: Und Ihr Land bewegt sich in keiner Weise zurück in Richtung totalitäres Regime?
VLADIMIR PUTIN: Daran ist nichts wahr. Glauben Sie nicht, was Sie hören.
DER SPIEGEL: Sie hatten sehr enge Beziehungen mit Gerhard Schröder. Denken Sie, daß Angela Merkel, die neue Kanzlerin, eher geneigt ist, den Kontakt mit den Vereinigten Staaten zu suchen als mit Rußland?
VLADIMIR PUTIN: Jede Person und jeder Politiker suchen ihren eigenen Stil und setzen ihre eigenen Prioritäten. Ich habe nicht den Eindruck, daß es eine Verschlechterung unserer Beziehungen zu Deutschland gegeben hat. Bei allen guten Beziehungen mit Gerhard Schröder kann ich sagen, daß ich auch mit Frau Merkel sehr gute und geschäftsmäßige Beziehungen aufgebaut habe. Ja, in manchen Fragen ist sie hartnäckiger. So ist sie zum Beispiel sehr glücklich, für polnisches Fleisch zu kämpfen. Wie ich schon sagte, will sie es nicht selbst essen: Wie wir alle wissen, wurde eine Lieferung polnischen Fleisches in Berlin beschlagnahmt. Aber wenn es um die Schlüsselfragen, die grundsätzlichen Fragen geht, dann bestehen keine Probleme zwischen uns, die bei der Entwicklungen von Bindungen zwischen unseren Ländern im Wege sein könnten. Wir haben sehr pragmatische und konsistente Beziehungen, und wir sehen, daß es eine Kontinuität im Hinblick auf die Politik der vorigen Regierung gibt, was die Beziehungen zu Rußland anbetrifft.
KOMMERSANT: Vladimir Vladimirowitsch, vielleicht ist dies eher eine lokale, spezifische Angelegenheit, aber ich denke, die Frage ist dennoch wichtig. Unsere Zeitung hat in den letzten Tagen über die Tatsache berichtet, daß vor zwei Tagen die Bundeszollbehörden biologischem Material die Ausfuhr aus Rußland verweigert haben. Sie lassen es einfach nicht aus dem Lande.
VLADIMIR PUTIN: Was sind das für biologische Materialien?
KOMMERSANT: Proben biologischer Materialien, Dinge wie Blutproben, Stücke menschlichen Gewebes, Material, das für qualitative Analysen im Westen benötigt wird, wo es große Datenbanken gibt. Die Untersuchungen sind nötig, um genaue Diagnosen für Menschen in Rußland zu erstellen, die beispielsweise Krebs haben, und um schließlich in der Lage zu sein, sie zu operieren und ihnen zu helfen. Aber der Zoll läßt diese Proben nicht aus dem Land. Es wurden verschiedene Erklärungen in Umlauf gebracht, warum dies so sei, aber die Tatsachen bleiben Tatsachen. Die Bundeszollbehörde hat heute sogar eine Erklärung abgegeben, nach der es bald eine Regelung für diese Angelegenheit geben werde. Aber die Proben werden jetzt schon nicht aus dem Land gelassen. Was ist ihre Ansicht in dieser Frage?
VLADIMIR PUTIN: Das ist schwer für mich zu sagen, weil ich nicht sehr viel über die Angelegenheit weiß. Ich denke, es sollten Regelungen getroffen werden, und das Gesundheitsministerium sollte sich an dieser Arbeit beteiligen. Sie sagen, daß diese Proben ins Ausland geschickt werden, um Menschen zu helfen, aber meine Frage ist in diesem Fall: wem wird hierdurch geholfen und welche Hilfe haben sie tatsächlich erhalten. Gibt es irgendwelche Statistiken. Ich habe keine solchen Statistiken und insgesamt hege ich Zweifel, ob irgendjemandem spezifisch geholfen wurde, indem diese biologischen Proben ins Ausland geschickt wurden.
KOMMERSANT: Eine korrekte Diagnose zu bekommen, ist an sich schon eine Form von Hilfe, und es sind diese internationalen Datenbanken, die genutzt werden, um eine korrekte Diagnose zu erstellen.
VLADIMIR PUTIN:Und wo ist diese Diagnose? Zeigen Sie mir Statistiken, die beweisen, daß jemand als Ergebnis dieser Arbeit die richtige Diagnose erhalten hat.
KOMMERSANT: Wir können Ihnen diese Statistiken zeigen.
VLADIMIR PUTIN: Dann senden Sie sie mir zu. Aber man sollte in allen diesen Dingen mit dem Gesundheitsministerium zusammenarbeiten. Alle Länder haben Regeln darüber, Organe, Gewebe und so weiter außer Landes zu bringen. Dies ist eine sensible Angelegenheit und jedes zivilisierte Land sollte einige Regeln für diese Fragen haben, auch Rußland. Ich kenne nicht alle Details dieser Angelegenheit, aber es werden Regeln aufgestellt, und wir alle werden ihnen entsprechend handeln.
KOMMERSANT: Aber vielleicht könnte die Grenze wieder geöffnet werden, während die Regeln aufgestellt werden. Vielleicht könnten die vorherigen Regelungen in dieser Zeit weiterhin gelten?
VLADIMIR PUTIN: Es gibt keine vorherigen Regelungen. Wenn es solche gegeben hätte, wäre es möglich zu sagen, ob es Verstöße gab oder nicht, aber es gab schlicht kein vorheriges Regelwerk. Jetzt müssen wir Schritte ergreifen, um Ordnung in die Situation zu bringen, und die Spezialisten des Gesundheitsministeriums müssen in diese Arbeit einbezogen werden und ihre Position darlegen.
NIKKEI: Die Menschen in Asien sehen Rußland durch den Brechspiegel der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und Europa. Ich denke, daß wir Rußland unmittelbar als asiatisches Land ansehen müssen, denn Rußland ist ein großes Land und ein substantieller Teil seines Territoriums liegt in Asien. Gegenwärtig erleben wir in Asien ein Wirtschaftswachstum in einem Tempo, das man sich in der Vergangenheit nur schwer vorstellen konnte.
Die asiatischen Länder wachsen alle sehr schnell. Japan ist in eine neue Wachstumsphase eingetreten und China ist natürlich eines der am schnellsten wachsenden Länder. In Asien wurden neben den multilateralen Abkommen verschiedene bilaterale Abkommen über Handelspräferenzen und dergleichen geschlossen. Rußland weist ebenfalls ein schnelles Wirtschaftswachstum auf. Wie planen Sie, an der dynamischen Entwicklung der asiatischen Wirtschaftsraums teilzunehmen, und wie wollen Sie in der Sechs-Parteien-Gruppe mitarbeiten. Warum nicht die Möglichkeiten nutzen, die Zusammenarbeit bei Investitionen als eine Form der Zusammmenarbeit.
VLADIMIR PUTIN: Könnten Sie genauer sagen, auf welche Sechs-Parteien-Gruppe Sie sich beziehen?
NIKKEI: Die Sechs-Parteien-Gespräche, um die Situation in Nordkorea zu lösen. Rußland ist eine der Parteien in diesen Verhandlungen, deren Ziel es ist, eine Lösung für die Probleme mit Nordkorea zu finden. Auf welche Weise planen Sie, eine aktivere Rolle in diesem Prozeß zu übernehmen?
VLADIMIR PUTIN: Wir sind aktiv an den Sechs-Parteien-Verhandlungen über die Frage Nordkoreas beteiligt. Sie haben wahrscheinlich schon für sich selbst sehen können, daß unsere Position in dieser komplexen Angelegenheit sehr produktiv ist und tatsächlich dazu beigetragen hat, positive Ergebnisse zu erzielen. Wir haben immer den Stanpunkt vertreten, daß wir alles vermeiden müssen, was die Verhandlungen zum Stillstand bringen könnte, und daß wir die Interessen Nordkoreas mit berücksichtigen müssen und auf Übereinkünfte hinarbeiten müssen, die alle Seiten akzeptieren können. China hat natürlich sehr hart gearbeitet, um zu helfen, ein positives Ergebnis zu erreichen. Ich denke, alle an diesem Prozeß beteiligten Parteien haben guten Willen gezeigt und bewiesen, daß sie trotz der Schwierigkeiten alle eine Übereinkunft suchen und bereit sind, sich nach Kompromißlösungen umzusehen, die immer gefunden werden können. Wir werden weiter in dieser Richtung arbeiten.
Im Hinblick auf Asien insgesamt habe ich bereits gesagt, daß Asien eine unserer Prioritäten ist. Wir werden innerhalb der internationalen Institutionen zusammenarbeiten, wir beteiligen uns schon jetzt an vielen asiatischen Foren und werden weiterhin an ihrer Arbeit teilnehmen.
Was wirtschaftliche Fragen angeht, wenn wir die Frage der Energie nehmen, eines der drängendsten Probleme, so wissen Sie, daß wir bereits eine Ölpipeline an die Pazifikküste bauen und erwägen, auch eine Gas-Pipeline zu bauen. Wir arbeiten aktiv an Plänen für eine Gas-Pipeline sowohl nach China als auch an die Pazifikküste.
Auch werden wir weiterhin in anderen Bereichen zusammenarbeiten, im Bereich der Hochtechnologie und im Bereich der militärisch-technischen Kooperation. Wir werden eine multilaterale Zusammenarbeit mit Asien entwickeln.
THE TIMES: Tony Blair hat sich endlich entschlossen, Gordon Brown darin zu unterstützen, neuer Premierminister zu werden. Denken Sie, dies ist die richtige Wahl? Was Ihr Amt betrifft, wen sähen Sie gerne als den nächsten Präsidenten von Rußland?
VLADIMIR PUTIN: Wenn Sie damit auf Gordon Brown anspielen, so ist es, bei allem Respekt für ihn, nicht sehr wahrscheinlich, daß er Präsident von Rußland wird. (Gelächter)
Die Entscheidung der Labour-Partei geht ist nicht unsere Angelegenheit. Wir kennen Gordon Brown als einen Spezialisten erster Klasse und ich hoffe, daß er tatsächlich Premierminister wird. Die positiven Ergebnisse, die im Laufe der letzten Jahre erzielt wurden, werden in rechnung gestellt werden und wir werden in der Lage sein, unsere Beziehungen zum Vereinigten Königreich (Großbritannien) auszubauen. Wir haben viele gemeinsame Interessen in vielen verschiedenen Bereichen. Tony und ich haben dies bei vielen Gelegenheiten diskutiert. Wir haben über unsere Zusammenarbeit und über die Aussichten für gemeinsames Arbeiten der Regierungen von Rußland und Großbritannien gesprochen.
Ich erinnere mich an den warmen Empfang, der mir bereitet wurde, als ich einen Staatsbesuch im Vereinigten Königreich machte. Alle diese Dinge haben so viele positive Elemente, die uns helfen können, weiter voranzuschreiten. Was die Entscheidungen der Labour-Partei anbetrifft, so werden wir natürlich mit ihrer Entscheidung einverstanden sein und mit unseren neuen Partnern zusammenarbeiten, wer immer sie sein mögen.
Was Rußland betrifft, so wird bei uns der Präsident von den russischen Wählern in direkten Wahlen ermittelt, anders als in Großbritannien, wo der Premierminister innerhalb einer politischen Partei gewählt wird.
THE TIMES: Aber dennoch, welche Art von Persönlichkeit sähen Sie gerne, und welche Eigenschaften sollte sie haben?
VLADIMIR PUTIN: Vor allem sähe ich gerne jemanden, der anständig und ehrlich ist, jemand mit einem hohen Niveau von Professionalität und Erfahrung, der sich bereits erprobt und positive Ergebnisse auf regionaler oder gesamtstaatlicher Ebene erzielt hat. Mit anderen Worten sähe ich gerne jemanden, der durch seinen Wahlkampf und seine Wahl das Vertrauen der großen Mehrheit der russischen Wähler weckt.
DER SPIEGEL: Könnte diese Person jemand sein, der bereits Präsident war?
VLADIMIR PUTIN: Es gab nur einen vorherigen Präsidenten Rußlands- Boris Jelzin. Heute ist ein Tag des Gedächtnisses für Boris Jelzin – der vierzigste Tag seit seinem Tod. Es gab keine anderen Präsidenten der Russischen Föderation. Meine Amtszeit geht dem Ende entgegen. Ich verstehe überhaupt nicht, wovon Sie reden.
…
WALL STREET JOURNAL: Nun, da Ihr Mandat sich dem Ende zuneigt, wie möchten Sie gerne als Präsident in die Gechichtsbücher eingehen? Was sind die Haupterrungenschaften Ihrer Präsidentschaft, die Sie für erinnerungswert halten? Mit welchem russischen oder anderem Präsidenten auf der Welt würden Sie gerne verglichen?
VLADIMIR PUTIN: Ich beantworte zuerst Ihre letzte Frage: Warum Vergleiche ziehen? Die Lage in jeder geschichtlichen Ära und jedem Land ist immer auf ihre Art einzigartig und ich halte es nicht für notwendig, Vergleiche zu ziehen. Zeit wird vergehen und die Spezialisten, die Öffentlichkeit und die Experten werden das, was ich in diesen acht Jahren als Präsident der Russischen Föderation erreichen konnte, objektiv beurteilen.
Ich denke, es gibt Dinge, über die ich und die Menschen, die mit mir zusammengearbeitet haben, mit Recht stolz sein können. Dazu gehören die Wiederherstellung der territorialen Integrität Rußlands, die Stärkung des Staates, Fortschritte bezüglich der Schaffung eines Mehrparteiensystems, die Stärkung des parlamentarischen Systems, die Wiederherstellung des Potentials der Streitkräfte und natürlich das Ankurbeln der Wirtschaft. Wie Sie wissen, ist unsere Wirtschaft während dieser Zeit im Durchschnitt jährlich um 6,9 Prozent gewachsen, und unser Bruttoinlandsprodukt ist allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 7,7 Prozent angestiegen.
Als ich im Jahre 2000 mit meiner Arbeit begann, lebten 30 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Seit damals ist die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, auf die Hälfte gesunken und liegt heute bei circa 15 Prozent. Bis 2009/2010 werden wir diese Zahl auf 10 Prozent senken und damit den europäischen Durchschnitt erreichen.
Wir hatten unglaublich hohe Schulden – eine wahre Katastrophe für unsere Wirtschaft – doch wir haben diese nun gänzlich zurückgezahlt. Wir haben nicht nur unsere Schulden beglichen, sondern haben nun auch das beste Verhältnis von Auslandsschulden und Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Europa. Die Entwicklung unserer Gold-und Währungsreserven sind wohl bekannt: im Jahre 2000 lagen sie nur bei 12 Milliarden US Dollar und wir hatten eine Verschuldung von mehr als 100 Prozent des BIP, doch heute verfügen wir über die drittgrößten Gold-und Währungsreserven der Welt und diese sind allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 90 Milliarden US Dollar gestiegen.
In den 90er Jahren und sogar in den Jahren 2000/2001 erlebten wir eine massive Kapitalflucht aus Rußland, wobei jedes Jahr 15 Milliarden US Dollar, 20 Milliarden US Dollar oder 25 Milliarden US Dollar das Land verließen. Letztes Jahr konnten wir die Situation zum ersten Mal umkehren und hatten einen Kapitalzufluß von 41 Milliarden US Dollar. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hatten wir bereits einen Kapitalszufluß von 40 Milliarden US Dollar. Die Kapitalisierung des russischen Aktienmarktes ist im letzten Jahr ungemein gewachsen und um mehr als 50 Prozent gestiegen. Dies ist eines der besten Ergebnisse weltweit, vielleicht sogar das beste. Unsere Wirtschaft war bezüglich ihres Umfangs fast ganz unten auf der Liste der weltweiten Wirtschaftssysteme, doch heute befindet sie sich auf dem neunten Platz, und in manchen Bereichen hat sie sogar die Wirtschaftssysteme anderer G8 Länder überholt. Das bedeutet, daß wir heute soziale Probleme in Angriff nehmen können. Die Realeinkommen wachsen derzeit um circa 12 Prozent pro Jahr. In den ersten vier Monaten dieses Jahres stieg das Realeinkommen um etwas über 18 Prozent, während die Gehälter um 11 bis 12 Prozent angestiegen sind.
Wenn wir die Probleme betrachten, die wir noch zu lösen haben, dann ist eines der größten die riesige Kluft der Gehälter zwischen den Menschen an der Spitze und denen, die sich ganz unten auf der Skala befinden. Der Kampf gegen die Armut ist selbstverständlich eine der unmittelbaren Top-Prioritäten und wir müssen auch noch viel zu tun, um unser Rentensystem zu verbessern, denn die Korrelation zwischen den Renten und den durchschnittlichen Gehältern ist bei uns immer noch niedriger als in Europa. Die Kluft zwischen den Gehältern ganz oben und ganz unten auf der Skala ist bei uns immer noch groß, es handelt sich um eine 15,6 bis 15,7-fache Differenz. Das ist weniger als in den USA heute (dort liegt diese Zahl bei 15,9), doch mehr als in Großbritannien oder Italien (dort beträgt die Zahl zwischen 13,6 und 13,7). Es bleibt eine große Kluft und der Kampf gegen die Armut ist eine unserer obersten Prioritäten.
Eine weitere Priorität ist die demographische Lage. Wir müssen unser Möglichstes tun, um die demographische Lage zu ändern. Wir haben in diesem Bereich ein spezielles Programm entwickelt. Ich werde hier nicht alle Einzelheiten dieses Programmes wiederholen, doch wir setzen umfangreiche Mittel zu seiner Umsetzung ein und ich bin mir sicher, daß es Ergebnisse liefern wird.
Was den Staatsaufbau betrifft, so werden wir häufig kritisiert für unseren Zentralismus, doch wenige beachten die Tatsache, daß wir eine ganze Reihe von Entscheidungen zur Dezentralisierung der Staatsmacht getroffen haben und den regionalen und, was noch viel wichtiger ist, den städtischen Behörden beachtliche Befugnisse erteilt haben.
Mit Erstaunen habe ich die Debatte in Deutschland darüber verfolgt, welche Entscheidungen den Ländern übertragen werden soll.
Ich habe die gesamte Debatte verwundert verfolgt und bemerkt, daß wir all dies schon lange verwirklicht haben. Im Rußland von heute wäre es einfach nur komisch, eine Debatte zu hören, ob den städtischen oder regionalen Behörden die Befugnis zu geben, beispielsweise über die Öffnungs-und Schließungszeiten von Geschäften und so weiter zu entscheiden. Die russischen Stadtbehörden haben mehr Macht als in vielen europäischen Ländern und wir denken, daß dies die richtige Politik ist. Unglücklicherweise hatten wir eine Situation, in der die finanziellen Reserven nicht verfügbar waren, um solche Befugnisse zu unterstützen, doch wir sind dabei diese Situation allmählich zu verändern. Das ist die generelle Situation in dieser Hinsicht in Rußland, doch uns bleibt noch viel zu tun.
CORRIERE DELLA SERA: Herr Präsident, ich habe meinen Kollegen versprochen, daß ich schweigen würde, aber ich habe noch eine sehr kurze Frage an Sie. Ich weiß natürlich, daß es die russischen Wähler sein werden, die den nächsten Präsidenten wählen werden, doch könnten Sie mir vielleicht etwas darüber sagen, was Sie, Vladimir Putin, nach dem Ende Ihrer Amtszeit tun werden?
VLADIMIR PUTIN: Eines ist sicher, ich werde arbeiten, doch wo und in welcher Funktion kann ich im Augenblick noch nicht sagen. Ich habe schon ein paar Ideen, doch es ist noch zu früh, um darüber zu sprechen. Sogar unter dem momentan geltenden Recht in Rußland bin ich noch weit entfernt vom Rentenalter und es würde wenig Sinn machen, nur zu Hause zu sitzen und Däumchen zu drehen.
Doch ich möchte im Augenblick noch nicht über meine möglichen Zukunftspläne sprechen. Um ehrlich zu sein, ich denke, es wäre nicht richtig, die öffentliche Meinung diesbezüglich zu sehr anzuheizen. Wir müssen warten und sehen, wie sich die Situation entwickelt, wie der politische Prozeß in Rußland sich dieses Jahr und Anfang nächsten Jahres entwickelt. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Möglichkeiten.
CORRIERE DELLA SERA: Ich habe eine weitere Frage zu Rußlands Außenpolitik. Es scheint mir, als böte Rußlands Außenpolitik keine wirkliche Alternative beispielsweise zur amerikanischen oder europäischen Außenpolitik.
Ein Beispiel ist der Iran. Natürlich möchte Rußland nicht, daß der Iran eine Atommacht wird, schließlich liegt der Iran geographisch sehr nahe bei Rußland. Doch welche Alternative gibt es zur westlichen Politik der Sanktionen, zu der Politik, die der Westen, mit Rußlands Beteiligung, in der UNO verfolgt hat? Sehen Sie irgendeine Alternative, die von Rußland ausgehen könnte?
Ein weiteres Beispiel ist der Kosovo. Ich kenne Ihre Meinung zum Kosovo, Ihre Position betreffend direkte Verhandlungen zwischen den Serben und den Kosovaren. Doch denken Sie nicht, daß Ihre Haltung gegenüber Herrn Ahtisaari und der UNO den Kosovo letztlich ermutigen könnte, einseitig seine Unabhängigkeit zu erklären?
VLADIMIR PUTIN: Was Rußlands Lösungsvorschläge zu komplexen oder auf den ersten Blick unlösbaren Problemen betrifft, so habe ich gerade über das Thema Nordkorea mit ihrem Kollegen Herrn Ota gesprochen. Wir wissen alle daß trotz der Komplexität dieses Problems eine Lösung gefunden wurde, und es ist möglich, Probleme zu lösen, wenn die Parteien, anstatt die Situation überzudramatisieren und die Dinge in eine Sackgasse zu lenken, sich entscheiden, nach Wegen aus dieser Sackgasse zu suchen und einen Kompromiß akzeptieren. Probleme können gelöst werden ohne Drohungen und Waffengewalt einzusetzen, und wir unterstützen diese Methode, Angelegenheiten zu erledigen.
Den Kosovo betreffend sagten Sie, daß wir den Dialog zwischen der albanischen Bevölkerung des Kosovo und den Serben unterstützen. Doch das gibt unseren Standpunkt nicht vollständig wieder. Ich möchte zu diesem Punkt gerne etwas mehr sagen.
Zuallererst basiert unsere Position auf den Prinzipien des internationalen Rechts, und eines dieser Grundprinzipien betrifft die territoriale Integrität eines Staates.
Zweitens basiert unsere Position auch auf der Resolution 1244 des UNO Sicherheitsrates, die, das möchte ich betonen, einstimmig angenommen und von niemandem angefochten wurde. Diese Resolution legt eindeutig schwarz auf weiß fest, daß der Kosovo ein integraler Teil Serbiens ist.
Wenn wir das Prinzip des Rechts eines Volkes auf Selbstbestimmung – das Prinzip hinter der Politik der Sowjetunion in der Zeit, als die Völker für ihre Befreiung vom Kolonialismus kämpften – über das Prinzip der territorialen Integrität stellen, dann sollten diese Politik und diese Entscheidung universell sein und auf alle Teile der Welt angewendet werden, und zumindest auf ganz Europa. Die Argumente unserer Partner dahingehend, daß der Kosovo ein einzigartiger Fall ist, haben uns nicht überzeugt. Nichts beweist, daß der Fall des Kosovo anders ist als der von Südossetien, Abchasien oder Transdniestrien. Im ersten Fall brach das kommunistische jugoslawische Imperium zusammen, im zweiten Fall war es das kommunistische Imperium der Sowjets, das kollabierte. In beiden Fällen kam es zu der ganzen Litanei von Krieg, Opfern, Verbrechern und Verbrechensopfern. Südossetien, Abchasien oder Transdniestrien sind nun seit 15 Jahren unabhängige Staaten, haben Parlamentsmitglieder und Präsidenten gewählt und eine Verfassung aufgestellt. Es gibt keinen Unterschied.
Wir verstehen nicht, warum wir ein Prinzip in einem Teil Europas unterstützen, und in anderen Teilen Europas anderen Prinzipien folgen und Völkern im Kaukasus etwa das Recht auf Selbstbestimmung verweigern sollen.
Ich schließe nicht aus, daß schrittweise Arbeit auf der serbischen Seite ihre Sichtweise im Bezug auf den Kosovo verändern könnte. Ich möchte nicht für die Serben sprechen, doch kontinuierliche und taktvolle Arbeit könnte dazu , daß eine Art Kompromiß erreicht wird.
Ich verstehe die Notwendigkeit nicht, heute ein ganzes europäisches Volk in die Knie zu zwingen und zu erniedrigen, mit dem Ergebnis, daß eine gesamte Nation dann diejenigen als Feinde betrachten wird, die diese Situation verursacht haben. Diese Art von Problemen sollte nur durch einen Prozeß von Einigung und Kompromissen gelöst werden, und ich denke, daß wir unsere Möglichkeiten in dieser Hinsicht noch nicht ausgeschöpft haben.
Man sagt uns, daß wir uns beeilen müssen, doch wohin führt diese Eile? Was ist los, daß es so dringend ist, herumzuspringen, wie, entschuldigen Sie diesen Ausdruck, ein Floh im Zirkus?
CORRIERE DELLA SERA: Könnten Sie ein paar Worte zum Iran sagen?
VLADIMIR PUTIN: Ich habe bereits gesagt, daß wir das Thema Nord Korea ohne besondere Drohungen und Gewaltanwendungen lösen konnten. Warum sollten wir für das iranische Problem also keine Lösung finden können? Wir müssen weitersuchen und uns in Geduld üben.
Ich weiß, daß dies ein komplexes Thema ist. Herr Solana hat sich, glaube ich, gerade mit iranischen Vertretern in Madrid getroffen und die Gespräche dauern an. Wir wollen, daß sie in Zukunft weitergehen. Wie Sie sehen können, arbeiten wir mit allen Mitgliedern des UNO Sicherheitsrates zusammen und suchen nach beiderseitig akzeptablen Lösungen und wir nehmen diese Arbeit und unsere Verantwortung sehr ernst.
THE TIMES: Kann ich Sie dazu folgendes fragen: stimmen Sie mit Präsident Bush überein, daß der Iran als Staat mit Atomwaffen inakzeptabel wäre?
VLADIMIR PUTIN: Ich stimme absolut überein.
Übersetzt von Eva-Luise Hirschmugl und Hergen Matussik. Quelle: Tlaxcala.