Die geopolitische Strategie hinter dem israelischen Angriff auf Gaza
Die jüngsten Feindseligkeiten zwischen Gaza und Israel müssen im Zusammenhang einer umfassenderen geopolitischen Auseinandersetzung gesehen werden. Die Ereignisse in Gaza stehen im Zusammenhang mit Syrien und den regionalen Manövern der USA, die sich gegen den Iran und dessen Bündnissystem in der Region richten.
Syrien wurde beschuldigt, aufgrund seiner inneren Instabilität Waffen nach Gaza geliefert zu haben. Israel hat davon politisch und militärisch profitiert. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versuchte nicht nur, mit dem Angriff auf Gaza seine Wiederwahl zu sichern, sondern benutzte die unsicheren Verhältnisse in Syrien, die von den USA herbeigeführt wurden, dazu, die Waffenlager der Palästinenser in Gaza zu testen und anzugreifen.
Dabei ließ er sich von der Überlegung leiten, Gaza werde nicht in der Lage sein, seine Verluste an Waffen und anderen militärischem Gütern wieder auszugleichen, solange Syrien und seine Verbündeten abgelenkt und geschwächt seien. Die Bombardierung der Waffenfabrik Yarmuk in der Nähe der sudanesischen Hauptstadt Khartum, die sich nach Behauptungen Israels im Besitz der iranischen Revolutionsgarden befindet, war vermutlich Teil dieses Plans und sozusagen Auftakt des israelischen Angriffs auf Gaza.
In diesem geopolitischen Schachspiel sind die so genannten »moderaten Kräfte« – eine irreführende Bezeichnung, die von George W. Bush und Tony Blair eingeführt wurde, um ihrer regionalen Kabale aus Diktatoren und rückständigen Regimen ein vorzeigbares Aussehen zu verleihen – an der Seite der amerikanischen Regierung unter Präsident Obama und der NATObeteiligt. Zu diesen so genannten moderaten Kräften zählen die Wüstendiktatoren des feudalen Golf-Kooperationsrats (GKR, bestehend aus Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman), Jordanien, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und die Türkei. 2011 kamen noch die von der NATO installierte neue libysche Regierung und die vom GKR und der NATO unterstützten regimefeindlichen Milizen, die in Syrien von der Leine gelassen wurden, hinzu.
Auf der anderen Seite des Schachbretts sitzt der »aufsässige« Widerstandsblock aus Iran, Syrien, der Hisbollah (und ihren Bündnispartnern im Libanon wie der schiitischen Amal-Bewegung (»Hoffnung«) und der Freien Patriotischen Bewegung), den sogenannten »starrköpfigen« Palästinensern, die Verhandlungen mit Israel grundsätzlich ablehnen, und in zunehmendem Maße auch der Irak. Die Muslimbruderschaft, die als neue einflussreiche regionale Bewegung auf den Plan getreten ist, wird von den USA und dem GKR umworben und immer mehr in Richtung des »moderaten« Lagers gedrängt. Auf diese Weise will man versuchen, den Widerstandsblock zu spalten.
Krasse Gegensätze zwischen Gaza und Syrien
Der israelische Angriff auf Gaza diente sozusagen als Nagelprobe. Der Chor derjenigen, die zuvor noch lauthals und anhaltend gefordert hatten, die USA sollten nun endlich im Namen der Freiheit einen »heiligen Krieg« gegen Syrien beginnen, ward nicht mehr gesehen oder verstummte augenblicklich, als Israel Gaza angriff. Vom Fernsehprediger des Senders Al-Dschasira, Jusuf al-Karadawi, und vom vom saudischen Machthaber handverlesenen Großmufti Abdul Aziz war nichts mehr zu hören. Der im saudi-arabischen Exil lebende verrückte salafistische Kleriker Adnan al-Arur, der als einer der führenden Köpfe der regimefeindlichen Kräfte in Syrien noch damit drohte, jeden zu bestrafen, der behaupte, al-Qaida mische bei den Rebellen mit, beschimpfte sogar die Hamas und die Palästinenser, weil sie gegen Israel kämpften.
Die Gefechte in Gaza brachten die »Moderaten« in eine Zwickmühle. Und hier treten auch die Widersprüche in ihren jeweiligen »arabischen Frühlingen« offen zutage. Jetzt ist offenbar, wer in Sachen Befreiung Palästinas nur Lippenbekenntnisse abgibt und wer eben nicht. Darüber hinaus zeigt sich, dass die ausländischen Unterstützer der Syrischen Nationalen Koalition, sozusagen ein aufpolierter Syrischer Nationalrat, ironischerweise alle zu den Unterstützern Israels zählen.
Aus diesem Grunde erscheint es den Unterstützern der regimefeindlichen Kräfte in Syrien seit Längerem nicht mehr opportun, auf die Unterstützung hinzuweisen, die der Iran, Syrien und dieHisbollah Gaza zukommen ließen und lassen. Daher heißt es aus dieser Richtung nur noch, jeder Hinweis auf die Unterstützung für Gaza aus Teheran, Damaskus und seitens der Hisbollah sei ein Versuch, »Baschar al-Assad und dessen Helfer reinzuwaschen«.
Der Iran, Syrien und die Hisbollah haben die Palästinenser in Gaza unterstützt
Die iranischen Raketen vom Typ Fadschr-5 sind der sichtbarste Ausdruck der Unterstützung Teherans für Palästina. Obwohl Israel und Gaza in militärischer Hinsicht bei weitem nicht als gleichwertige Gegner anzusehen sind, haben vor allem iranische Waffen und Technologien dazu beigetragen, das Machtgleichgewicht etwas zugunsten der Palästinenser zu verschieben. Teheran war der wichtigste Verbündete und Unterstützer des palästinensischen Widerstands. Die USA, Israel, die Hisbollah, die Hamas, der palästinensische Islamische Dschihad und der Iran selbst haben diesen Sachverhalt, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, anerkannt.
Der palästinensische Islamische Dschihad, der kompromisslos auf der Seite des Iran steht, hat offen eingeräumt, dass alles – von der Munition bis zu Raketen –, was Gaza im Kampf gegen Israel einsetzte, großzügigerweise von Teheran zur Verfügung gestellt wurde. Es wurde während der Kämpfe sogar berichtet, dass dieHisbollah eine Spezialeinheit dazu einsetzte, den Gazastreifen mit Waffen zu versorgen, und sich darunter auch einige ihrer eigenen Langstreckenraketen befanden.
Dies alles geschah, während gleichzeitig die Schurken in Saudi-Arabien, Katar und der Türkei ihrerseits die syrischen regimefeindlichen Milizen mit Waffen ausstatten. Ägypten und Jordanien zählen weiterhin zu wichtigen Bündnispartnern, wenn es zu verhindern gilt, dass iranische Waffen die Palästinenser erreichen.
Palästinensische Kämpfer wurden auch im Libanon, Syrien und im Iran ausgebildet. Paradoxerweise gehen die regimefeindlichen Kräfte in Syrien auch gegen Mitglieder der palästinensischen Befreiungsarmee in Syrien vor.
Die Unterstützung, die der Widerstandsblock den Palästinensern gewährte, versetzt regionale Akteure wie die Türkei und Katar, die das syrische Regime ablehnen und stürzen wollen, in eine missliche Lage. Diese so genannten sunnitischen Staaten sahen sich in doppelter Weise bloßgestellt: Sie hatten es nicht nur unterlassen, einer vernehmlich sunnitischen Bevölkerung zu Hilfe zu eilen, darüber hinaus lag ihre Unaufrichtigkeit nun vor aller Augen. Aus diesem Grund sind derzeit hektische Bemühungen zu verzeichnen, die Unterstützung des Iran und seiner Verbündeten für Gaza herunterzuspielen oder ganz unter den Teppich zu kehren.
Die Hamas soll aus dem Widerstandsblock herausgebrochen werden, um dann einen muslimischen Bürgerkrieg loszutreten
Der israelische Angriff auf Gaza und die an die Hamasgerichteten Lockrufe der »moderaten« Kräfte zielen auf weit mehr als nur die Neutralisierung Gazas. Die Hamas-Führung soll dazu gebracht werden, sich zwischen dem Lager der Moderaten und dem Widerstandsblock zu entscheiden, oder anders gesagt, die Hamas soll sich entscheiden, ob sie lieber regieren oder gegen die israelische Besetzung ankämpfen will. Deshalb drängt man dieHamas gegenwärtig dazu, den USA oder Israel in irgendeiner Weise entgegenzukommen. Dahinter steckt die Absicht, die Palästinenser und insbesondere die Hamas aus dem Widerstandsblock herauszubrechen, um den Iran und dessen Verbündete als eine schiitische Allianz brandmarken zu können, die die Vorherrschaft über die Sunniten anstrebe.
Diejenigen, die dumm genug sind, auf diese Farce hereinzufallen, können sich schon einmal auf die sich abzeichnende von den USA manipulierte Fitna (Schisma) einstellen, die einen regionalen muslimischen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten entzünden soll. Die amerikanische Regierung unter Präsident Obama bemüht sich derzeit darum, eine sunnitische Achse gegen die schiitischen Muslime in der Region aufzubauen.
Amerika und Israel versuchen nach dem klassischen Konzept des »Teile und herrsche« ihre Vorherrschaft in der Region zu zementieren, da die Muslime aufgrund des gegenseitigen Blutvergießens zu einer Gegenwehr nicht in der Lage wären. Die Schiiten werden im neu entfachten Medienkrieg systematisch verunglimpft: Der Iran, die Hisbollah, Baschar al-Assad (der zwar Alawit ist, aber, weil es nützlicher erscheint, immer häufiger als Schiit dargestellt wird) und die irakische Regierung unter Nuri al-Maliki werden als die neuen Unterdrücker der Sunniten präsentiert. Ihnen werden dabei die Türkei, die offensichtlich eine Neuauflage osmanischer Außenpolitik versucht, und Ägypten unter der Muslimbruderschaft als die neuen Führer und Beschützer der Sunniten gegenübergestellt. Dabei lässt man gerne unter den Tisch fallen, dass der ägyptische Staatspräsident Mursi die Blockade Gazas im Interesse Israels weiterführt und der türkische Regierungschef Erdoğan sich zumindest anfänglich aller öffentlichen Kommentare enthielt, als Israel mit seinen Luftangriffen auf Gaza begann.
Die USA versuchen unterdessen, die ägyptische Muslimbruderschaft zur Kontrolle der Hamas zu benutzen, denn immerhin war es Kairo, das den Waffenstillstand zwischen Israel und Gaza vermittelte. Während der Iran Militärgüter, logistische Unterstützung und Geld bereitstellt, werden die Ägypter als diejenigen präsentiert, die es Gaza ermöglichen, mit alternativer finanzieller Hilfestellung des GKR zu einer gewissen Normalität zurückzukehren. Hier ist der eigentliche Hintergrund des überraschenden Besuchs des Emirs von Katar, Al Thani, in Gaza zu finden, der versuchte, die Hamas mit seinen schwindenden Petro-Dollars in Versuchung zu führen.
Die Spaltungen zwischen Schiiten und Sunniten sind politische Konstrukte
Über dieses Thema wird in der Hamas heftig gerungen. Während Damaskus, Teheran und dieHisbollah in irgendeiner Weise öffentliche Anerkennung ihrer wichtigen und überlebenswichtigen Unterstützung für die Hamas und die Palästinenser erwarten, halten sich offizielle Vertreter derHamas mit derartigen Äußerungen zurück. Chalid Maschal bedankte sich auf einer wichtigen Pressekonferenz zwar ausdrücklich bei Ägypten, Katar und Tunesien, erwähnte aber den Iran kaum.
Maschals politisches Taktieren blieb dem Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, nicht verborgen, der nur wenige Stunden später die rhetorische Frage stellte, wer denn die Fadschr-5-Raketen unter schwierigsten Bedingungen nach Gaza gebracht habe? Nasrallah forderte die Menschen auf, sich nicht von den Schönwetter-Freunden Gazas wie Saudi-Arabien und Katar, die glaubten, sich den Weg in die Herzen der Palästinenser erkaufen zu können, täuschen zu lassen, sondern auf die erprobten Freunde zu vertrauen, die es Gaza ermöglicht hätten, auf eigenen Füßen zu stehen. Und schließlich bekräftigte der libanesische Führer die anhaltende Unterstützung des Widerstandsblocks für das palästinensische Volk.
Trotz der veränderten Haltung der politischen Führung derHamas zu Syrien ist sie immer noch dem Widerstandsblock zuzurechnen. Immerhin zeichnen sich neue Möglichkeiten ab. Wenn es Streit zwischen Griechenland und der Türkei gibt, und dennoch beide Länder Mitglied der NATO sind und bleiben, dann kann auch die Hamas Differenzen mit Syrien haben und trotzdem mit dem Widerstandsblock gegen Israel verbündet sein.
Die Spaltung in der Nahmittelostregion betrifft nicht die religiösen Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten, sondern ist in ihrem Wesen grundsätzlich politischer Natur. Das Bündnis der vorherrschend sunnitischen palästinensischen Widerstandsbewegung und der Freien patriotischen Bewegung, immerhin die größte christliche politische Partei des Libanon, mit dem mehrheitlich schiitischen Iran und der Hisbollah sollte endgültig die Wahrnehmung zerstreuen, die die USA und ihre Verbündeten aufrecht zu erhalten versuchen.