Deutschlands Ein-Parteien-System

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Am 22. September 2013 findet die Bundestagswahl in Deutschland statt. Diese Wahlen werden mit besonderer Spannung beobachtet werden, da man sich fragt, was sie für die Austeriätspolitik der Merkel-Regierung und die Euro-Krise bedeuten werden. Aus einer anti-sparpolitischen und sozialistischen Perspektive sind diese Wahlen auch für die neue deutsche Partei Die LINKE. Von Bedeutung. Trotz der wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Ungleich steht DIE LINKE in Umfragen bei nur 8 %. Diese Partei stellt sich der Herausforderung sich in einem ungünstigen und sogar feindliche Umfeld  als eine wirkliche Alternative zu präsentieren. In diesem Artikel, exklusiv veröffentlicht in der Zeitung Junge Welt, reflektiert Oskar Lafontaine über die momentane Lage der Partei.

Lafontaine begann seine Karriere als Willy Brandts politisch talentiertester Zögling und wurde dann die beliebteste Führungsfigur der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), während diese von 1982 bis 1998 in der Opposition saß. Im Jahre 1998 wurde er dann von der britischen Presse als der gefährlichste Mann Europas bezeichnet, denn als Finanzminister der ersten rot-grünen aus SPD und Grünen hatte er Pläne für eine Regulierung der Finanzmärkte. Doch dann trat er zurück, als er einsehen musste, dass es in der Koalition an Unterstützung für seine links-keynesianistische Politik fehlte.

Seit Anfang 2000 war Lafontaine ein prominenter Kritiker des neoliberalen Kurses der neuen Regierung und 2004 trat er der, von linksgerichteten Gewerkschaftern, SPD-Dissidenten und radikalen Linken gegründeten westdeutschen Partei Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) bei. Seine Bedingung dabei war, dass diese sich mit der ostdeutschen Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) zusammenschließen würde, um mit ihr eine vereinte linke Partei in deutschland zu bilden. 2005 führte Lafontaine die Partei mit  8.7 % in den Bundestag und 2009 erhöhte die Partei ihren Stimmenanteil mit ihm auf 11.9 %. Aus gesundheitlichen Gründen entschied sich Lafontaine seine Führungsposition in der Bundespartei aufzugeben, um sich fortan auf seine Rolle als Oppositionsführer im Saarland zu konzentrieren. Trotzdem bleibt seine Stimme in der Partei sehr einflussreich und oftmals wurde schon seine Rückkehr gefordert.

In der kommenden Bundestgagswahl kann Die Linke nur erfolgreich sein, wenn sie sich weigert  ein weiterer Flügel der „deutschen Einheitspartei“ zu werden.

Deutschlands „Ein-Parteien-System“

In den kommenden Monaten wird in Deutschland eine Komödie aufgeführt. Das Stück heißt Lagerwahlkampf. Die Hauptdarsteller sind Angela Merkel und Peer Steinbrück. In den Nebenrollen sehen wir Horst Seehofer, Sigmar Gabriel, Philipp Rösler, Jürgen Trittin und das übrige Führungspersonal von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen. Für die Linke ist in dieser Revue eigentlich kein Auftritt vorgesehen. Mit Hilfe des Verfassungsschutzes, der Konzernmedien und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wird alles versucht, die unbequeme Partei vom Laufsteg des Kapitalismus zu vertreiben.

Der scharfzüngige US-Schriftsteller Gore Vidal hatte schon vor Jahren formuliert: »Demokratie ist ganz offensichtlich ein Ort, wo unzählige Wahlen abgehalten werden, zu immensen Kosten ohne Themen und mit austauschbaren Kandidaten.« In den USA gab es für ihn nicht mehrere Parteien, sondern ein »Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln«, die für die Interessen der Großkonzerne eintreten. In den Medien sah er Instrumente der Propaganda zur Konservierung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse.

Mag man die Meinung Gore Vidals noch als literarische Übertreibung eines Schriftstellers abtun, so wird die Übertragung seines Urteils über die US-Politik auf die bevorstehende Bundestagswahl durch Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung bestätigt: »Der Lagerwahlkampf ist ein Wahlkampf, den es eigentlich nicht mehr gibt … Lagerwahlkampf ist ein ungutes Wort, auch wenn es von Heiner Geißler stammt … Was Geißler damals bezeichnen wollte, existierte in der Tat. Es gab konträre Positionen in allen Grundfragen der Politik: Außen-, Wirtschafts-, Energie- und Ausländerpolitik … Die fundamentalen Unterschiede zwischen den Parteien (die Linke ausgenommen) sind verschwunden.«

Amerikanisierung

Zweifellos hat die Amerikanisierung der deutschen Politik dazu geführt, daß wir heute, auch in Deutschland, ein Einparteiensystem mit vier Flügeln haben, um in dem Bild Gore Vidals zu bleiben. Die Flügel nennen sich CDU/CSU, SPD, FDP oder Grüne und treten mal mehr, mal weniger für die Interessen der Banken und Großkonzerne ein, wie die Steuerpolitik der letzten Jahre und die vielen Rettungsschirme beweisen. Sie bejahen ohne Einschränkung eine Wirtschaftsordnung, in der die ungleiche Reichtums-, Vermögens- und Machtverteilung dadurch zustande kommt, daß eine Minderheit die Mehrheit für sich arbeiten läßt und dieser Mehrheit den ihr in Form von Löhnen und Belegschaftsanteilen zustehenden vollen Ertrag ihrer Arbeit vorenthält. Im Gegensatz zur bundesdeutschen Einheitspartei sagt die Linke: Eigentum sollte nur durch eigenes Tun, durch eigene Arbeit entstehen und nicht dadurch, daß man andere für sich arbeiten läßt. So lange sich große Vermögen und die daraus hervorgehende gesellschaftliche Machtstruktur dadurch bilden, daß die Minderheit die Arbeit der Mehrheit »ausbeutet«, so lange können sich logischerweise die Interessen der Mehrheit nicht durchsetzen. Mit anderen Worten: Eine Demokratie, das heißt eine Gesellschaftsordnung, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen, scheitert an den von der deutschen Einheitspartei zementierten Machtstrukturen.

So lange diese nicht angetastet werden, dürfen Schaukämpfe ausgetragen und heftige Auseinandersetzungen auf Nebenkriegsschauplätzen geführt werden. Je weniger die grundsätzlichen politischen Standpunkte voneinander abweichen, um so lauter muß das Geschrei sein, um den Anschein eines Lagerwahlkampfes aufrecht zu erhalten. Dazu noch einmal Heribert Prantl: »Wahrscheinlich gibt es, trotz des Boheis, der um die Rentenpolitik gemacht wird, nur tausend Leute in Deutschland, die hier die Differenzen zwischen Union und SPD buchstabieren können. Bei anderen Fragen ist es ähnlich.« Auch die FAZ spricht von einem »unechten Lagerwahlkampf«.

Man darf sich auch nicht blenden lassen durch die rot-grüne »Plagiatsaffäre«. Mit großem Fleiß haben Sozialdemokraten und Grüne Politikvorschläge der Linken abgeschrieben und abgewandelt, um die durch ihre Regierungspolitik verursachten gesellschaftlichen Verwerfungen – prekäre Arbeitsverhältnisse, Niedriglöhne, Altersarmut, Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme – vergessen zu machen. Das gilt ohne Anspruch auf Vollständigkeit für den Mindestlohn, die bescheidenen Rentenverbesserungsvorschläge, die Erhöhung des Hartz-IV-Satzes, die Praxisgebühr, die Studiengebühr, die Leiharbeit, die Werkverträge, den Spitzensteuersatz, die Vermögenssteuer, die Abgeltungssteuer, die Finanztransaktionssteuer, die Mietbegrenzung, die Energiepreisbegrenzung, die Deckelung der Dispozinsen, die Euro-Bonds, den Lizenzentzug für Banken, die Steuerhinterziehung fördern, das Trennbanksystem, die Begrenzung der Managergehälter, die Gläubigerhaftung und den Schuldenschnitt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Dieser Ideenklau kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich SPD und Grüne ebenso wie CDU/CSU und FDP, wenn es darauf ankommt, als systemtreue Abteilungen der bundesdeutschen Einheitspartei erweisen. Die einheitliche Zustimmung zur Schuldenbremse im Grundgesetz, zum europäischen Fiskalpakt und zu den verschiedenen Rettungsschirmen zeigt, daß sich das »linke Lager«, bestehend aus SPD und Grünen, nicht von seiner Hartz-IV- und Agenda-2010-Politik gelöst hat. Der Fiskalpakt ist die Festschreibung dieser brutalen Kürzungspolitik für ganz Europa. SPD und Grüne haben nur deshalb die ­Chuzpe, sich Europaparteien zu nennen, weil sie das Europa des freien Marktes und der Konzerne als das Alleinmögliche verinnerlicht haben.

Blindgänger

Mißt man die soziale Wirklichkeit an der erklärten politischen Absicht, dann ist es kein zu hartes Urteil, wenn man die beiden »linken« Protagonisten des bevorstehenden »Lagerwahlkampfes« als europäische Blindgänger bezeichnet. Der Europäische Rat beschloß im Dezember 2000 in Lissabon, unter Mitwirkung des rot-grünen Kanzlers Gerhard Schröder, »die europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einen Wirtschaftsraum der fähig ist, ein dauerhaftes Wachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einen größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen«. Das war die hehre Absicht. Und wie sieht die Wirklichkeit aus?

Wenn die jungen Europäer, die in zunehmendem Maße arbeitslos werden, das heute lesen, sind sie wohl berechtigt, an der Urteilsfähigkeit dieser Staatenlenker zu zweifeln. Wann werden die Politiker der deutschen Einheitspartei begreifen, daß ein Wirtschaftssystem, das die Gewinn- und Vermögensmaximierung der Minderheit zum Ziel hat, notwendigerweise Zustände hervorbringt, wie wir sie jetzt in Europa beobachten können?

Vor diesem Hintergrund ist es ein schlechter Witz, wenn CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des »Lagerwahlkampfes« stellen wollen.

Logisch, weil systemimmanent, ist es ebenfalls, das beide »Lager« die Menschenrechtskriege zum wesentlichen Instrument ihrer Außenpolitik erkoren haben. In unnachahmlicher Weise hat Prinz Harry die Quintessenz dieser neuen Ära der deutschen Außenpolitik auf der ersten Seite der Bild zusammengefaßt: »Töten, um Leben zu retten, darum geht es.« Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist sicherlich, daß Politiker von SPD und Grünen Merkel und Westerwelle heftig kritisierten, weil die Bundesregierung beim Libyen-Krieg nicht mitmachte.

Alleinstellungsmerkmal

Die Linke, und das weiß die große Mehrheit ihrer Anhänger und Mitglieder, hat eine Existenzberechtigung nur dann und kann sich nur dann in Wahlkämpfen erfolgreich behaupten, wenn sie nicht zu einem weiteren Flügel der Einheitspartei wird. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist die Befürwortung einer Wirtschaftsordnung, in der jedem der volle Ertrag seiner Arbeit zukommt. Diese Wirtschaftsverfassung führt zu demokratischen Belegschaftsunternehmen und nicht zu autoritären Wirtschaftsstrukturen mit Leiharbeit, Werkverträgen, Niedriglöhnen und Minijobs. Sie führt zu einer friedlichen Außenpolitik, die sich Rohstoffe durch Handel und nicht durch Menschenrechtskriege sichert.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum SPD und Grüne seit Jahren das Angebot der Linken zur Zusammenarbeit schroff zurückweisen. Die Politiker der deutschen Einheitspartei wollen unter sich bleiben. Strukturreformen, die die ständig zunehmende ungleiche Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen in Deutschland verändern würden, lehnen sie ab. Die Wahlprogramme von SPD und Grünen, in denen Vorschläge der Partei Die Linke ganz oder in abgeschwächter Form übernommen wurden, dienen nur der Verschleierung. Die Wählerinnen und Wähler sollen nicht erkennen, daß hinter diesen Ankündigungen keine Realisierungsabsicht steht. Wie sagte doch der einstige Großmeister sozialdemokratischer Wahlkampagnen Franz Müntefering: Es ist unfair, die Parteien nach der Wahl an ihren Wahlversprechen zu messen.

Der herbeigeredete Lagerwahlkampf ist eine Farce. Die Wählerinnen und Wähler werden ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Nach der Wahl wird es in Deutschland so sein wie vor der Wahl, gleich, welche Politiker und Fraktionen der Einheitspartei die Bundesregierung bilden. Erstaunlicherweise geben Vertreter der deutschen Wirtschaft einer rot-grünen Bundesregierung klammheimlich den Vorzug. Der ehemalige BDI-Chef Keitel sagte kürzlich: »Wenn ein Land wirtschaftspolitische Reformen machen muß, ist es besser, wenn die Regierung keine politische Farbe hat, die sie verdächtig macht, Unternehmen zu begünstigen.«

Artikel auf Englisch: Germany’s One-Party System

Articles by: Oskar Lafontaine

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