Der wahre Grund für den hohen Ölpreis
Wie in dem Artikel »Etwa 60 Prozent des heutigen Ölpreises sind reine Spekulation« beschrieben, sind nach konservativen Schätzungen beinahe zwei Drittel des heutigen Ölpreises von 128 $ pro Barrel Rohöl auf nicht regulierte spekulative Termingeschäfte durch Hedge-Fonds, Banken und Finanzgruppen zurückzuführen, die dazu entweder die Warenterminbörsen in London (ICE) und New York (NYMEX) benutzen, oder zur Vermeidung genauer Prüfungen unkontrollierte Direktgeschäfte tätigen.
Nach den Richtlinien der US-Aufsichtsbehörde für den Warenterminhandel (Commodity Futures Trading Commission, CFTC) dürfen Spekulanten an der NYMEX einen Rohöl-Terminkontrakt kaufen und brauchen dafür nur 6 Prozent des Vertragswertes zu bezahlen. Bei dem heutigen Ölpreis von 128 $ bedeutet das, dass der Futures-Händler nur etwa 8 $ pro Barrel vorschiessen muss. Die anderen 120 $ leiht er sich. Diese extreme »Hebelwirkung« von 16 zu 1 treibt die Preise auf ein völlig unrealistisches Niveau.
Die Ölhändler und Spekulanten an der Wall Street lieben diese Grafik, um zu beweisen, die Weltölproduktion habe den »Gipfel« erreicht.
Der Schwindel vom Ölfördergipfel (Peak Oil) – nämlich das Argument, es gäbe kein neues Öl mehr auf der Welt – hat es möglich gemacht, dass sich dieser kostspielige Schwindel seit der Irakinvasion im Jahr 2003 mit der Hilfe von wichtigen Banken, Ölhändlern und großen Ölmultis halten konnte. Wie üblich versucht Washington, die Schuld den arabischen OPEC-Produzenten in die Schuhe zu schieben. Das Problem ist aber nicht eine mangelnde Versorgung mit Rohöl. Im Gegenteil: es gibt momentan weltweit eine Überversorgung. Trotzdem steigen die Preise unverdrossen weiter. Warum? Die Antwort liegt in der bewussten Politik der US-Regierung, die hemmungslose Preismanipulationen zulässt.
Stagnierende Nachfrage nach Öl, boomende Preise …
Der Chef-Marktstratege einer der führenden Geschäftsbanken für Öl, David Kelly von J.P. Morgan Funds, erklärte kürzlich gegenüber der Washington Post: »Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig zu erkennen, dass der weltweite Ölverbrauch gar nicht so stark zunimmt.«
Eines der Märchen, die das Treiben der Spekulanten mit Öltermingeschäften unterstützt, ist die von dem angeblichen außer Kontrolle geratenen Wunsch Chinas nach Ölimporten, die im Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage zur Verknappung führt. Doch die Fakten bestätigen diese »China-These« nicht. Das Energie-Informationsamt (Energy Information Administration, EIA) der US-Regierung kam in ihrem jüngsten Bericht über die kurzfristigen Energieperspektiven (Short Term Energy Outlook Report) zu dem Schluss, dass sich in den USA die Nachfrage nach Öl in diesem Jahr (2008) um etwa 190.000 Barrel pro Tag verringern wird. Hauptursache: Die sich verschärfende Wirtschaftsdepression. Laut EIA explodiert der Verbrauch in China keineswegs, sondern er wird in diesem Jahr allenfalls um 400.000 Barrel pro Tag steigen. Das ist kaum die »rasch ansteigende Nachfrage nach Öl«, die China in den Medien vorgehalten wird. Letztes Jahr hat China 3,2 Millionen Barrel Rohöl pro Tag importiert; der geschätzte Tagesverbrauch lag bei insgesamt 7 Millionen Barrel.. Zum Vergleich: Die USA verbrauchen etwa 20,7 Millionen Barrel pro Tag, wobei die Zahlen zeigen, dass in der wichtigsten Öl-Verbrauchernation der Welt, den USA, die Nachfrage derzeit erheblich sinkt. China, dessen Öl-Verbrauch nur ein Drittel des Ölkonsums der USA beträgt, wird aber im Vergleich mit der Weltölproduktion von täglich etwa 84 Millionen Barrel nur einen mäßigen Anstieg des Importbedarfs erleben, weniger als ein halbes Prozent des Gesamtbedarfs.
Nach Schätzung der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) wird der weltweite Zuwachs des Ölbedarfs 2008 bei unveränderten 1,2 Millionen Barrel pro Tag liegen, weil dem sich verlangsamenden Wachstum in den Industriestaaten der leicht steigende Verbrauch in den Schwellenländern gegenüber steht. Die OPEC schätzt, dass der weltweite Ölbedarf 2008 bei durchschnittlich 87 Millionen Barrel pro Tag liegen wird – und damit weitgehend unverändert bleibt seit der letzten Schätzung. Aus China, dem Nahen Osten, Indien und Lateinamerika wird eine starke Nachfrage erwartet, während die Nachfrage in der EU und den USA geringer ausfallen wird.
Der größte Ölkonsument – die USA – steht also vor einem starken Rückgang des Verbrauchs und dieser Rückgang wird sogar noch zunehmen, weil sich die Verbriefungskrise im US-Immobiliensektor und anderen Wirtschaftszweigen finanziell dramatisch, da auf dem Wege der »negativen Hebelwirkung« bemerkbar machen wird. Es wäre daher zu erwarten, dass die Preise auf normal offenen oder transparenten Märkten fallen und nicht steigen. Keine Angebotskrise rechtfertigt das Niveau, auf dem sich gegenwärtig der Weltölpreis bewegt.
Große neue Ölfelder kommen hinzu
Es gibt aber nicht nur keine Angebotskrise, die derart spekulativ hochgetriebene Preise rechtfertigen würde, denn noch in diesem Jahr 2008 werden mehrere riesige neue Ölfelder die Produktion aufnehmen und das Angebot noch verstärken.
Der größte Erdölproduzent der Welt, Saudi Arabien, steht kurz davor, die Ölbohrungen um ein Drittel auszuweiten und die Investitionen um 40 Prozent zu steigern. Der Plan von Saudi Aramco für die Zeit von 2009 bis 2013 wird voraussichtlich noch in diesem Monat vom Vorstand des Unternehmens und vom saudischen Ölministeriums akzeptiert. Das Königreich steckt mitten in der Planung, die Investitionen zur Ausweitung der saudischen Ölindustrie um über 50 Milliarden $ aufzustocken, um die wachsende Ölnachfrage in Asien und auf anderen Schwellenmärkten zu decken. Es wird erwartet, dass das Königreich seine Förderkapazitäten auf 12,5 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2009 steigert, gegenüber der jetzigen Kapazität von 11,3 Millionen Barrel pro Tag ist das ein Anstieg um 11 Prozent.
Im April dieses Jahres wurde die Förderung auf dem saudi-arabischen Ölfeld Khursaniyah aufgenommen, in Kürze wird diese Förderung dem weltweiten Angebot rund 500.000 Barrel pro Tag an dem hochwertigen arabischen Leicht-Rohöl (Arab Light Crude) hinzufügen. Auch ein weiteres saudisches Expansionsprojekt, die Entwicklung des Ölfeldes von Khurais – es ist das größte Projekt von Aramco –, wird die Produktion auf den saudiarabischen Ölfeldern steigern, und zwar von gegenwärtig 11,3 Millionen Barrel pro Tag auf 12,5 Millionen im Jahr 2009. Khurais soll die saudischen Exportkapazitäten um weitere 1,2 Millionen Barrel pro Tag an hochwertigem Arab Light Crude erhöhen.
In Brasilien hat der staatliche Ölmulti Petrobras kürzlich vor der Küste des Landes mit der Exploration des Tulpi-Ölfelds begonnen, das nach brasilianischen Einschätzungen ebenso große, wenn nicht sogar größere Lagerstätten enthält, als die Nordsee. Laut Petrobras könnte es in dem sehr tiefgelegenen Tulpi-Feld bis zu 8 Milliarden Barrel förderbaren Leichtöls (Light Crude) geben. Wenn dort in einigen Jahr der Betrieb aufgenommen wird, gehört Brasilien zu den »Top 10« der Ölproduzenten, und zwar auf einer Position zwischen Nigeria und Venezuela.
Der Welt droht eine baldige Überversorgung, denn neue Ölfelder werden entwickelt, während der Bedarf in den USA zurückgeht. Trotzdem steigen die Preise.
In den Vereinigten Staaten gibt es zum einen Gerüchte, die großen Ölgesellschaften säßen wissentlich auf riesigen neuen Ölreserven in Alaska, die sie aus einer Mischung von Angst, die Preise könnten in den nächsten Jahren fallen, und aus Furcht vor einer Überproduktion nicht ausbeuteten. Darüberhinaus hat der Geologische Dienst der Vereinigten Staaten (US Geological Survey, USGS) vor Kurzem einen Bericht veröffentlicht, der bestätigt, dass in einem »Bakken« genannten Gebiet, das sich über North Dakota, Montana und das südöstliche (kanadische) Saskatschewan erstreckt, neue größere Ölvorkommen entdeckt wurden. Nach Schätzungen könnten in Bakken bis zu 3,65 Milliarden Barrel Öl lagern.
Warum steigen dann die Preise immer noch?
Es gibt immer mehr Hinweise dafür, dass die jüngste Öl-Spekulationsblase, die seit Januar asymptotisch verläuft, vor dem Platzen steht.
Ende April hielt Amerikas Verband der Ölgeologen (American Association of Petroleum Geologists) in der texanischen Stadt Dallas seine Jahresversammlung ab, an der alle führenden Vertreter der Ölindustrie und führende Geologen teilnahmen. Nach Aussagen eines Teilnehmers waren sich die sachkundigen Direktoren der Ölindustrie darin einig, dass »die Ölpreise wahrscheinlich bald dramatisch sinken werden und ein langfristiger Preisanstieg beim Erdgas zu verzeichnen sein wird«.
Nur wenige Tage zuvor hatt die Wall-Street-Investmentbank Lehman Brothers erklärt, die gegenwärtige Ölpreisblase neige sich dem Ende zu. Der britische Daily Telegraph zitierte am 24. April den führenden Ölstrategen der Bank, Michael Waldron, mit den Worten: »Das Angebot an Öl übersteigt die Zunahme des Wachstums. Seit Anfang dieses Jahres sammeln sich Vorräte an.«
In den USA stiegen nach Angaben des Inventarberichts der EIA vom 7. Mai die Vorräte im April um fast 12 Millionen Barrel, ein Anstieg um fast 33 Millionen Barrel seit Januar. Gleichzeitig ging aus dem US-Benzinbericht von MasterCard vom 7. Mai hervor, dass die Nachfrage nach Benzin um 5,8 Prozent gesunken ist. Schon jetzt senken die Raffinerien ihre Produktion dramatisch, um sich der sinkenden Nachfrage anzupassen. Sie arbeiten jetzt mit einer Kapazitätsauslastung von nur 85 Prozent, im Vergleich zu 89 Prozent vor einem Jahr, und das in einer Saison, wo die Auslastung normalerweise bei 95 Prozent liegt. Die Raffinerien versuchen offenkundig, die Benzinlager zu verkleinern, um die Benzinpreise in die Höhe zu treiben. Das nennt man dann wirtschaftliche Rezession.
Goldman Sachs wieder mittendrin
Anders als vor 20 Jahren wird der Ölpreis heute hinter verschlossenen Türen in den Handelsräumen großer Finanzinstitute wie Goldman Sachs, Morgan Stanley, JP Morgan Chase, Citigroup, Deutsche Bank oder der Schweizer UBS bestimmt. Die Schlüsselrolle spielt die ICE-Warenterminbörse in London (ehemals die Internationale Ölbörse). ICE-Futures ist ein 100-prozentiges Tochterunternehmen der Atlanta Georgia International Commodities Exchange (Internationale Warenbörse). Die ICE in Atlanta wurde von Goldman Sachs mitgegründet und verwaltet zufälligerweise auch den weltweit meistverwendeten Rohstoffpreisindex, den GSCI, der unverhältnismäßig stark vom Ölpreis bestimmt wird.
Wie ich in meinem früheren Beitrag »Etwa 60 Prozent des heutigen Ölpreises sind reine Spekulation« dargelegt habe, war die ICE-Warenterminbörse erst kürzlich Gegenstand einer Untersuchung im amerikanischen Kongress. Die ICE wurde sowohl in dem Bericht der Arbeitsgruppe des Ständigen Untersuchungs-Unterausschusses des US-Senats vom 27. Juni 2006 erwähnt, als auch bei der Anhörung des Ausschusses für Handel und Energie des Repräsentantenhauses im Dezember 2007, bei der unregulierte Termingeschäfte im Energiebereich untersucht wurden. Beide Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass der Anstieg der Energiepreise auf 128 $ und womöglich noch höher durch die milliardenschweren Terminkontrakte über Öl und Erdgas verursacht wurde, die an der ICE abgeschlossen werden. Weil die Bush-Regierung eine sehr gelegen kommende Ausnahme von der Regulierung verfügte, unterliegen die Geschäfte an der ICE-Warenterminbörse nicht der Aufsicht der CFTC, auch wenn die Firma ihren Sitz in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia hat.
Es ist deshalb keine Überraschung, wenn man in einem Reuters-Bericht vom 6. Mai liest, dass Goldman Sachs bekanntgibt, das Öl stünde möglicherweise erneut vor einer »Super-Spitze« und deshalb könne der Ölpreis in den kommenden sechs Monaten bis zwei Jahren womöglich bis auf 200 $ pro Barrel steigen. Diese Schlagzeile »200 $ pro Barrel!« wurde in den folgenden Tagen zur Hauptmeldung in den Nachrichtensendungen. Wie viele leichtgläubige Lemminge folgten ihnen wohl mit ihren Wetten?
Arjun Murti, der Energiestratege von Goldman Sachs, machte dafür die – wie er es nannte – »glühende« Nachfrage aus China und dem Nahen Osten verantwortlich und kombinierte das mit seiner Behauptung, der Nahe Osten stehe kurz vor dem Maximum seiner möglichen Ölförderung. Wiederum hilft der Mythos vom »Ölfördergipfel« der Wall Street. Das Ausmaß dieser unbegründeten Hysterie erinnert an die Wahnsinns-Propaganda der Wall Street über dot.com-Aktien und Enron in der Zeit von 1999 bis 2000.
2001, unmittelbar vor dem dot.com-Absturz beim Index NASDAQ, verkauften einige Firmen an der Wall Street der Öffentlichkeit auf aggressive Weise Aktienpakete, die sie selbst stillschweigend abstießen. Oder sie vermarkteten fragwürdige Aktien für Unternehmen, an denen ihre Partnerbanken ein finanzielles Interesse hatten. Kurz: Vertreter von Firmen, die an einem bestimmten finanziellen Resultat interessiert waren, benutzten die Medien, um sich selbst und ihre Unternehmen zu bereichern – der Kleininvestor war der Dumme. Dies wurde auch später bei Kongressuntersuchungen bestätigt. Der US-Kongress sollte die Herausgabe der Unterlagen der Warenterminpositionen von Goldman Sachs und einer Handvoll anderer Spieler im Energiewarentermingeschäft erzwingen; denn anhand dieser Unterlagen ließe sich feststellen, ob diese Spekulanten bei ihren Investitionen auf Gewinne durch einen künftigen Ölpreis von 200 $ rechnen oder nicht.
Margin Rules heizen die Aufregung an
Die gegenwärtige Spekulation beim Ölpreis wird noch einmal aufs Äußerste angeheizt durch die sogenannte »Margin Rule«, die festlegt, wie viel Geld der Käufer eines Öl-Terminkontrakts hinterlegen muss, wenn er auf einen steigenden (oder eigentlich fallenden) Ölpreis wettet. Nach den gegenwärtig gültigen Bestimmungen der NYMEX braucht ein Spekulant lediglich 6 Prozent des Gesamtwerts seines Öl-Terminkontrakts zu hinterlegen. Das heißt, ein risikofreudiger Hedge-Fonds oder eine Bank kann Öl-Futures mit einem Hebel von 16 zu 1 kaufen.
Derzeit werden wir von einer endlosen Reihe plausibler Argumente für den hohen Ölpreis überschüttet: »Aufschlag wegen Terrorgefahr«; »glühender« Anstieg der Nachfrage in China und Indien; Unruhen in der nigerianischen Erdölregion; in die Luft gesprengte Ölpipelines im Irak; ein möglicher Krieg gegen den Iran … Und vor allem natürlich der »Ölfördergipfel«. Der Ölspekulant T. Boone Pickens hat angeblich große Gewinne mit Öltermingeschäften gemacht und behauptet nun praktischerweise, die Welt stünde an der Schwelle des Ölfördergipfels. Das gleiche behauptet der Investmentbanker und Freund von US-Vizepräsident Dick Cheney, Matt Simmons aus Houston.
Im Bericht des US-Senats Die Rolle der Marktspekulation beim Anstieg des Erdöl- und Erdgaspreises vom Juni 2006 heißt es: »Einige Manager von Hedge-Fonds sind Meister darin, die Theorie vom Ölfördergipfel und den empfindlichen Stellschrauben von Angebot und Nachfrage auszunutzen. Mit lautstarken Vorhersagen über zukünftige Preissteigerungen gießen sie in einer sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung nur noch mehr Öl ins Hausse-Feuer.«
Wird ein Demokratischer Kongress intervenieren und in einem Wahljahr den so sorgfältig umnebelten Öl-Warenterminmarkt verändern und dabei riskieren, dass die Blase platzt? Am 12. Mai erklärte der Ausschuss für Energie und Handel, »bis in den Juni hinein« werde man sich dieses Themas annehmen.