Der Mensch ist gut, aber irritiert
Er ist nicht krank, er ist nicht richtig aufgeklärt (Teil I)
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Vorwort
Verehrte Leser! Als Bürgerinnen und Bürger haben Sie ein Anrecht darauf, richtig aufgeklärt zu werden, psychologische Menschenkenntnis zu erwerben und die Wahrheit zu erfahren, auch wenn vieles zunächst unverständlich erscheint.
Der therapeutische Nachlass meines geschätzten Lehrers Friedrich Liebling veranlasst mich immer wieder, meine Stimme zu erheben und der Wahrheit die Ehre zu erweisen. Aufgrund seiner lebenslangen Suche nach Frieden und Humanismus ist dieser große Psychologe und Psychotherapeut auch unter die allseits bekannten Friedenskämpfer einzureihen (1).
Gemäß seiner Schülerin, der Schweizer Psychotherapeutin Gerda Fellay, wies Friedrich Liebling alle seine Mitarbeiter an, „den Humanismus zu erproben und den Beweis zu erbringen, dass die Menschheit sozial sei, gut und fähig, ohne Waffen und Kriege zusammenzuleben. (2) Dann fügte er hinzu: „Wenn ihr euch einig bleibt in der Forschung, werdet ihr ein Loch in die Welt schlagen.“ (3)
Sein psychologisches und psychotherapeutisches Vorgehen nannte Liebling „Denken lernen“, im Gegensatz zum Glauben. Hierzu schreibt Fellay in ihrem Buch über sein Leben und Werk:
„Glauben an Gott, glauben an die Wissenschaft, glauben an die Autoritäten, glauben an die Eltern usw. verhindere das Denken. Dieses Vorgehen Friedrich Lieblings, seine Schüler und Patienten „Denken zu lehren“, wurde innerhalb der „Lehre von der vernunftgemässen Denkweise“ in der therapeutischen Beziehung in den kleinen und großen Gruppen unterrichtet. Dieses Vorgehen basiert auf der grundlegenden Erkenntnis: ‚Der Mensch ist nicht krank, er ist nicht richtig aufgeklärt.‘
- Die Menschen sind nicht ‚krank‘, man braucht sie nicht zu heilen, man soll sie aufklären.
- Wenn der Mensch die Methode der vernunftgemäßen Denkweise kennt, ist er befähigt, mit anderen in Verbindung zu treten, sich mit ihnen verbunden zu fühlen, und damit wird er fähig, sein Leben in Freiheit zu gestalten.
- Er wird sich seines irrigen Verhaltens bewusst werden, seiner Neurosen und ihrer Verwurzelung in den mystischen Vorstellungen seiner Erziehung. Damit wird er zu Veränderungen fähig.
- Haltungen verändern sich nicht von einem Tag auf den andern.“ (4)
Einleitung
Wenn wir uns in der Welt umsehen, stellen wir fest, dass die Menschen zwar gut sind, jedoch psychisch irritiert. Kein Mensch kann seine Probleme in der Ehe, mit den Kindern oder im gesellschaftlichen Leben lösen. Wir schlagen die Kinder und führen mörderische Kriege.
Da die Menschen von allen Institutionen programmiert werden – angefangen von der Erziehung zuhause und in der Schule bis hinauf zur Rekrutenschule und das „Feld der Ehre“ – hat man es schwer, sie auf ihre Probleme aufmerksam zu machen und ihnen zu helfen.
Die Menschen werden so programmiert, dass sie dann alles machen, was die Machthaber von ihnen verlangen. So hat das deutsche Volk von ungefähr 100 Millionen Menschen – ein Volk der Dichter und Denker – Adolf Hitler zugejubelt und zugestimmt. Alle sind mit ihm mitgegangen – angefangen vom Papst, von der katholischen Kirche und den anderen Kirchen bis hin zu allen Gelehrten, den Philosophen und Psychologen und allen Arbeitern und Sozialisten. Sie wurden so gut programmiert, dass sie sich in den Tod führen ließen.
Deshalb ist es unsere Aufgabe, allen Menschen das psychologische Wissen über sich selbst und die Mitmenschen zu vermitteln, damit sie ihre persönlichen Probleme lösen können und beginnen, die Welt in eine friedliche Bahn zu lenken. Eine friedliche Welt kann nur durch die Änderung der Menschen und eine Änderung der gegenwärtigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse entstehen.
In diesem Sinne weise ich weiterhin auf die große Bedeutung der Aufklärung hin und versuche zu erklären, was unter der Psychologie zu verstehen ist. Da der Standpunkt der humanistischen Psychologie relativ neu und noch nicht gründlich erarbeitet ist, ist sie schwer vermittelbar und nicht im Interesse der Herrschenden.
Doch ohne Psychologie wird die Welt nicht weiterkommen!
Zur Bedeutung der Aufklärung
Da die Politik in den Köpfen und Herzen der Menschen vorbereitet wird, handeln die Menschen morgen so, wie sie heute denken. Deshalb kann die Bedeutung der Aufklärung nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Der Sinn der aufklärerischen Bemühungen ist die Reinigung des menschlichen Bewusstseins von individuellen und kollektiven Vorurteilen. Die Beseitigung von Vorurteilen bedeutet mehr als ein bloßes intellektuelles Unterfangen. Der „aufgeklärte Verstand“ ist fähig, gesunde Lebensziele ins Auge zu fassen.
Die Zukunft unserer Kultur wird wesentlich davon abhängen, ob es genug „Aufklärer“ geben wird, die imstande sein werden, der Bevölkerung jene Vorurteile zu nehmen, die der ideologische Hintergrund der Menschheitskatastrophen sind. Intellektuelle haben dabei eine große Verantwortung, denn ihre Pflicht wäre es, für andere Menschen zu denken (Romain Rolland) und mit der Freiheit des Denkens die Freiheit überhaupt zu proklamieren.
In einer Zeit, in der die Bedrohung durch die Atombombe die Selbstvernichtung der Menschheit als möglich erscheinen lässt, bedürfen wir mehr denn je der „freien Geister“, die uns lehren, was Wahrheit und was Lüge ist.
Paul-Henri Thiry d‘Holbach schrieb bereits in seinem 1878 erschienenen Buch „Der gesunde Menschenverstand des Pfarrers Meslier. Kritische Gedanken über die Religion und ihre Auswirkung auf die kulturelle Entwicklung“ über den Ursprung der Vorurteile:
(Orthographie, Interpunktion und Satzstellung wie im Original)
„Das menschliche Gehirn ist besonders in der Kindheit wie weiches Wachs, das jede beliebige Eindrücke bereitwillig aufnimmt. Die Erziehung überliefert dem Menschen fast alle seine Meinungen, zu einer Zeit, in welcher er selbst noch keines Urtheils fähig ist. Man glaubt wahre und falsche Ideen von der Natur oder bei der Geburt eingefangen zu haben, welche doch in einem zarten Alter unseren Köpfen eingeprägt worden sind; und diese „Reservation“ ist eine der Hauptquellen unserer Irrthümer.
Das Vorurtheil bestärkt in uns die Meinungen Jener, die sich mit unserer Belehrung beschäftigt haben. Wir glauben, dass sie uns überlegen sind und halten sie von dem überzeugt, was sie uns lehren. Wir setzen das grösste Vertrauen in sie. In Folge der Sorge, die sie für uns hatten, als wir noch nicht im Stande waren, für uns selbst zu sorgen, halten wir sie für unfähig, uns betrügen zu wollen. Heute finden wir die Beweggründe, welche uns tausend gewichtige Irrthümer aufbürden, ohne einen andern Grund als den des schändlichen Wortes Jener, die uns erzogen haben; selbst das Verbot, über das nicht nachzudenken, was sie uns gesagt, vermindert unser Vertrauen nicht und trägt vielmehr oft noch bei unsere Achtung für sie zu erhöhen.
Die Lehrer des menschlichen Geschlechts sind so klug, ihre religiösen Prinzipien den Menschen einzupflanzen, ehe sie noch im Stande sind, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, oder die rechte Hand von der linken. Es würde eine ebenso schwere Aufgabe sein, dem Verstande eines Menschen von vierzig Jahren die verkehrten Begriffe, welche man uns über die Gottheit gibt, einzuprägen, als diese Begriffe einem Menschen zu entziehen, welche er in der Kindheit eingesogen hat.“ (5)
Die Wissenschaft der Psychologie
Die Psychologie ist eine Wissenschaft über den Menschen, über die menschliche Natur: wie er wird, wie er heranwächst, wie er sich im Leben zurechtfindet. Seine Erfahrungen werden ihm vor allem von den Eltern und den Lehrern vermitteln. Es ist dann das Produkt seiner Erlebnisse und Eindrücke in der Kindheit.
Bereits in den ersten Lebensjahren – mit fünf bis sechs Jahren – hat das Kind einen Kompass. Wenn es in den Kindergarten kommt, weiß es bereits, wie es sich zu verhalten hat. Auch hat es eine Meinung über das andere Kind, den Vater, die Mutter und die Geschwister. Es hat bereits seine Charaktereigenschaften und kennt seine Stellung in der Welt.
Die wissenschaftliche Psychologie will dieses geistige und seelische Leben des Menschen erforschen: seine Gedanken, seine Gefühle und seine Erlebnisse. Wenn man die Gefühle und Reaktionsweisen des Menschen einmal erkannt und verstanden hat, wie er heranwächst, dann versteht man sich selbst, den anderen, die Gesellschaft und die ganze Welt.
Auch die Medizin ist erst vorangekommen, nachdem sie die Funktionen des Körpers untersucht und erkannt hatte. Zunächst durfte der Mensch den Menschen – seine Organe und sein ganzes Inneres – nicht kennen lernen, nicht studieren. Die Kirche war aus bestimmten Gründen dagegen, dass man den Menschen erforscht. Erst als man die Notwendigkeit erkannt hatte, sind Leichen gestohlen worden und die Mediziner sind darangegangen, den Menschen zu erforschen.
Wenn wir den Menschen verstehen lernen, dann verstehen wir auch das Problem des Krieges, weil wir die Handlungsweisen und Taten des Menschen einschätzen können und verstehen, was in ihm vorgeht. Wir finden dann eine Antwort auf die Frage: Sind es Menschen wie wir, die die Kriege auslösen oder sind es ganz andere Menschen?
Alle Fragen unseres Lebens, unserer Gedanken, unserer Gefühle, unserer Erlebnisse sind zu erklären, wenn wir den Menschen verstehen, seine Rektionsweisen und Gefühle kennen und wissen, wie er heranwächst, wie er die Welt sieht und was in ihm vorgeht. Wir besitzen dann eine andere Art des Denkens und Fühlens.
Lassen wir uns also darauf ein und gehen den Weg, psychologische Menschenkenntnis zu erwerben.
Teil II:
Kein Mensch ist. Er wird…!
Gesunder Menschenverstand versus magische Weltanschauung.
Krieg ist ein gutes Geschäft und die Glorifizierung der Gewalt.
Lesen Sie Teil II und III:
Eine friedliche Welt entsteht einzig und allein durch menschliche Entschlüsse
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, February 25, 2023Der Mensch ist nur darum unglücklich, weil er die Natur verkennt
By
, February 26, 2023Hinweis an die Leser: Bitte klicken Sie auf die obigen Schaltflächen zum Teilen. Folgen Sie uns auf Instagram und Twitter und abonnieren Sie unseren Telegram-Kanal. Fühlen Sie sich frei, Artikel von Global Research erneut zu veröffentlichen und zu teilen.
Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Schul-Rektor, Erziehungswissenschaftler (Dr. paed.) und Psychologe (Dipl.-Psych.). Nach seinen Universitätsstudien wurde er wissenschaftlicher Lehrer (Professor) in der Erwachsenenbildung: unter anderem Leiter eines freien Schul-Modell-Versuchs und Fortbildner bayerischer Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen. Als Pensionär arbeitete er als Psychotherapeut in eigener Praxis. Bei einer Öffentlichen Anhörung zur Jugendkriminalität im Europa-Parlament war er Berichterstatter für Deutschland. In seinen Büchern und Fachartikeln fordert er eine bewusste ethisch-moralische Werteerziehung sowie eine Erziehung zu Gemeinsinn und Frieden. Für seine Verdienste um Serbien bekam er 2021 von den Universitäten Belgrad und Novi Sad den Republik-Preis „Kapitän Misa Anastasijevic“ verliehen.
Noten
1. Fellay, Gerda (1977). Friedrich Liebling. Leben und Werk – eine Einführung. New York, Paris, Bern, S. 187
2. a. O., S. 55
3. a. O.
4. a. O., S. 51
5. D’Holbach, Paul-Henri Thiry (1976). Der gesunde Menschenverstand des Pfarrers Meslier. Kritische Gedanken über die Religion und ihre Auswirkung auf die kulturelle Entwicklung. Zürich, S. 19. Original 1878.
Das Bild stammt von Public Discourse