AFRICOM und der Krieg gegen Libyen
Als Frankreichs Möchtegern-Napoleon Nikolas Sarkoszy nach den ersten Bombardierungseinsätzen gegen Libyen zur ‘Durchsetzung einer Flugverbotszone’ und zum ‘Schutz der Zivilbevölkerung’ triumphierend ausrief, dass so in Zukunft gegen alle ‘despotischen’ arabischen Regime vorgegangen würde – sie sollten sich in Acht nehmen -, hatte er enthüllt, dass es eben nicht um die behaupteten Ziele ging, sondern um mehr. Vordergründig könnte man sein hektisches Vorpreschen bei der Anerkennung des ‘Nationalen Übergangsrates Libyens’ in Bengasi mit einigem Recht noch als ein auf Fehleinschätzung der Rebellenkräfte beruhendes Rennen um den ersten Platz bei der Aneignung der fetten Beute Libyen ansehen.
Kaum Aufmerksamkeit fand in unseren Medien jedoch die Tatsache, dass die libysche Regierung bereits früher einem Lieblingsplan des französischen Staatspräsidenten entgegen stand: der Verwirklichung der Mittelmeerunion, eine Zielsetzung, die Sarkoszy im Jahre 2007 herausbrachte. Die EU unterstützte den Plan bald – mit einigen Modifikationen. “Die Regierung Libyens erklärte es aber als einen Fehler der französischen Regierung, den Vorschlag zu lancieren, ohne sich zuvor mit den nordafrikanischen Staaten zu beraten. Am 11. Juni 2008 verschärfte der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi seine Kritik noch und erklärte, die EU versuche mit der Union für das Mittelmeer andere Organisationen wie die Arabische Liga und die Afrikanische Union zu spalten, in der die meisten nordafrikanischen Staaten Mitglied sind.”
In diesem Zusammenhang betrachtet, gewinnt der aktuelle Krieg der NATO zur Unterstützung eines Umsturzes in Libyen noch über den lokalen Bereich hinaus an Bedeutung – und keinesfalls nur im Sinne der eingangs zitierten Drohung des französischen Staatspräsidenten. Solche Kontexterweiterungen behandelte ein Interview mit Mahdi Darius Nazemroaya in der chinesischen Wochenzeitung ‘Life Week’, die in Peking (!) herausgegeben wird. Nazemroaya ist freier Mitarbeiter im Centre for Research on Globalization (CRG). Das von Xu Jingjing geführte Interview erschien ursprünglich am 1. April 2011 und wurde später im Portal von Global Research veröffentlicht. Nachstehend das Interview in eigener Übersetzung aus dem Englischen:
Xu Jingjing: Was ist denn auf Grund Ihrer Analyse die Rolle von AFRICOM bei der militärischen Intervention in Libyen? Welche Fähigkeiten hat es?
Nazemroaya: In der Realität ist AFRICOM eng mit EUCOM verbunden und von EUCOM in vielfacher Weise abhängig. Aber durch die derzeitige militärische Intervention in Libyen und zukünftige Militäroperationen, die sich noch aus dem Krieg gegen Libyen entwickeln werden, kann AFRICOM seine Unabhängigkeit von EUCOM wohl sichern. Mit dem Hinweis auf diese Abhängigkeit meine ich jedoch nicht, um es klar zu sagen, dass AFRICOM in Nordafrika keine Funktion hat. Denn natürlich hat es eine Bedeutung auf dem Boden und ich glaube, dass AFRICOM aktiv in die Unterstützung der Kämpfer verwickelt war, die sich jetzt gegen Oberst Gaddafi erhoben haben.
AFRICOMs Rolle ist gegenwärtig verborgen oder verschleiert. Die derzeit durchgeführten Militäroperationen gegen Libyen werden von EUCOM, dem Militärkommando der USA in Europa aus geleitet. EUCOM überschneidet sich in seiner Zuständigkeit zudem noch mit der NATO und beide Organisationen, EUCOM und NATO werden vom gleichen Militärkommandeur geführt, nämlich von Admiral James Stavridis.
Vor einigen Tagen hörte ich Admiral Stavridis zu, als er vor dem Senatsausschuss der USA für die Streitkräfte sprach. Er machte deutlich, dass die Operation ‘Odyssey Dawn’ (Angriffe auf Libyen zur angeblichen Umsetzung der Flugverbotszone) von Europa aus geführt wird, und dass das Militär der USA stets die Kontrolle über den Militäreinsatz gegen Libyen behalten wird. Er widersprach ferner dem offiziellen Sprecher der NATO, indem er ausführte, dass durchaus die Möglichkeit bestünde, dass NATO-Bodentruppen in Libyen im Rahmen von Operationen zur Stabilisierung der Lage eingesetzt werden könnten. (Anm. NATO-Generalsekretär Rassmussen hatte dies damals kategorisch ausgeschlossen.)
Nazemroaya: Wie gesagt, ist die Rolle von AFRICOM in Nordafrika derzeit verborgen oder verschleiert. Mit der weiteren Entwicklung der Kämpfe in Libyen wird die Rolle von AFRICOM jedoch deutlicher werden und an Bedeutung gewinnen.
AFRICOM ist in die geheimdienstlichen Tätigkeiten bezüglich Libyens eingebunden und verwickelt. Als Admiral Stavridis vom US-Senatsausschuss der Bewaffneten Streitkräfte zu der Rolle von Al-Qaida in dem in Bengasi residierenden ‘Nationalen Übergangsrat’ befragt wurde, antwortete er automatisch, dass diese Frage vom AFRICOM-Kommandeur, General Carter Ham, beantwortet werden könne. Dies weist darauf hin, dass hinsichtlich der geheimdienstlichen Front und möglicher Ausbildung der Rebellen AFRICOM verantwortlich war und darin in Libyen selbst stärker als EUCOM verwickelt war.
Xu Jingjing: AFRICOM hat aber keine eigenen ihm zugeordneten Truppen und kein Hauptquartier in Afrika. Was ist sein Hauptauftrag und Ziel? Wie schätzen sie eine Entscheidung zur Ausdehnung des Einflusses der USA in Afrika ein?
Nazemroaya: Wie ich zuvor schon sagte, ist AFRICOM an EUCOM angebunden. In gewissem Sinne sind seine Möglichkeiten nur nominell vorhanden. Auf dem Wege über den Militäreinsatz gegen Libyen und im Laufe der Jahre von Instabilität, die Afrika nach diesem Krieg heimsuchen werden, wird AFRICOM sich als ein eigenständiges operationales Militärkommando festigen.
AFRICOMs Hauptaufgabe ist es, den afrikanischen Kontinent für die USA und ihre Alliierten sicher zu machen. Sein Auftrag ist es, eine neue koloniale Ordnung in Afrika zu sichern, an deren Durchsetzung die USA und ihre Verbündeten arbeiten. In vielfacher Hinsicht dreht sich die militärische Intervention in Libyen genau darum. Die kürzliche Londoner Konferenz über die Zukunft Libyens kann man durchaus mit der Konferenz von 1884 in Berlin vergleichen. Der Unterschied dazu im Jahre 2011 besteht darin, dass heute die USA auf dem Schlachtfeld erscheinen und – noch bedeutender – die anderen Teilnehmer bei der Aufteilung und Zuteilung von Libyen und Afrika anführen.
Xu Jingjing: Wie wichtig ist denn eine Afrika-Strategie für die USA? Wie schätzen sie den Einfluss der USA in Afrika heute ein? Welches sind die größten Hindernisse für die USA, ihren Einfluss auszuweiten?
Nazemroaya: Natürlich spielen die Volksrepublik China und ihre Verbündeten eine entscheidende Rolle in der Antwort auf diese Fragen. Die USA und ihre Alliierten formulieren nicht nur eine neue Strategie zur Aufrechterhaltung und Vertiefung ihrer Kontrolle über Afrika, sondern sie arbeiten daran, China und seine Verbündeten aus Afrika zu vertreiben. Die USA und viele Staatsmächte der EU haben China über Jahre nervös beobachtet. China hat sich viele zentrale Zugänge nach Afrika verschafft und ist dort ein strategischer und wirtschaftlicher Hauptrivale und Herausforderer gegenüber den USA und Westeuropa.
China und seine Verbündeten werden eine der Schranken für die US-Strategie zur Kontrolle Afrikas sein. Natürlich können die Menschen in Afrika auch nicht unberücksichtigt bleiben, weil sie auf lange Sicht gesehen eine sehr bedeutende Rolle beim Widerstand gegen die USA und die EU sein werden.
Und bereits jetzt gibt es entsprechende Proteste in Afrika südlich der Sahara, über die nicht besonders viele Menschen der nördlichen Hemisphäre reden oder etwas wissen. Es gab Proteste im Senegal und anderen Teilen von Westafrika. Es gab Proteste in Zentralafrika. Während die Proteste in der arabischen Welt mit Aufmerksamtheit beobachtet werden und über sie intensiv berichtet wird, werden die zuvor genannten Proteste überwiegend ignoriert.
Xu Jingjing: Wie hat sich die Afrikapolitik der USA in den letzten 20 Jahren verändert? Welche Antriebe gab es für diese Veränderungen?
Nazemroaya: Es gibt viele Wege, die US-Außenpolitik der letzten beiden Dekaden in Afrika zu einzuordnen. Wir sehen eine Phase von intensiver Rivalität mit den alten Kolonialmächten, etwa mit Frankreich. Aber ich denke, es ist bedeutend zu erkennen, dass die US-Außenpolitik in kleinen Schritten daran gearbeitet hat, China aus Afrika hinaus zu werfen. Nochmals der Hinweis, dass der Antrieb dafür der allgemeine Aufstieg Chinas und sein wachsender Einfluss in Afrika sind. Man kann China nicht ignorieren, wenn man über Afrika spricht.
Und all dies hat im Ergebnis zu dem aktuellen Umfang der Zusammenarbeit von Washington und Frankreich, sowie den alten Kolonialmächten geführt. Diese arbeiten Hand in Hand, um den afrikanischen Kontinent in ihrem gemeinsamen Einflussbereich zu halten und China heraus zu drängen. Letztendlich ist AFRICOM genau zu diesem Zweck gebildet worden.
Xu Jingjing: In einem Ihrer Artikel erwähnen Sie französische Pläne zur Bildung einer ‘Mittelmeerunion’. Warum ist nach Ihrer Analyse Frankreich in dieser Region stets so aktiv?
Nazemroaya: Paris war immer in Afrika aktiv, wegen seiner Nachbarschaft zu dem Kontinent und seiner kolonialen Vergangenheit in Afrika. Frankreich hat ja das größte Kolonialreich in Afrika beherrscht. Und darum war auch einmal Frankreich mit der Unterstützung von Belgien und Frankreich der Hauptrivale der USA und von Großbritannien in Afrika. Doch das ist augenscheinlich verändert, seit Paris und seine engen Partner ihre Interessen mit den USA und Großbritannien harmonisiert haben.
Ich freue mich, dass sie die ‘Mittelmeerunion’ bzw. ‘Union des Mittelmeeres’, wie sie später als Teil einer öffentlichen Werbekampagne umbenannt wurde, ansprechen. Der von Ihnen erwähnte Artikel wurde vor mehreren Jahren von der Nordafrika Times veröffentlicht, die, glaube ich, in libyschem Besitz ist. Als die Nordafrika Times den Artikel veröffentlichte, entfernten sie den Absatz, in dem ich Zbigniew Brzezinski bezüglich der seit langem bestehenden Pläne zur Bildung einer Mittelmeerunion und ihrer Auswirkungen zitierte.
Die Mittelmeerunion ist ein politisches, wirtschaftliches und Sicherheitsgebilde. Sie wird zudem auf der militärischen Ebene durch das Konzept des ‘Mittelmeerdialoges’ der NATO vervollständigt. Die Abläufe, die zu der formalen Gründungserklärung der Mittelmeerunion hinführten, gleichen exakt den Mustern, die bei der Erweiterung der Europäischen Union und der NATO in Osteuropa benutzt wurden.
Die ‘Union für das Mittelmeer’ ist dazu gedacht, den Mittelmeerraum und die arabische Welt in den Herrschaftsbereich von Washington und der Europäischen Union einzubinden. Sie ist ferner ein Brückenkopf nach Afrika. Dieses Vorhaben fordert wirtschaftliche Integration, massive Privatisierungen und Abstimmung einer gemeinsamen Politik. Es ist ein koloniales Vorhaben und es dient der Kontrolle und der Ausbeutung der Arbeitskräftereservoire im Süden des Mittelmeeres für die Europäische Union. Das kann in der Zukunft zudem benutzt werden, den Arbeitsmarkt in Asien und anderen Regionen aufzumischen. Durch die Mittelmeerunion wurden ausserdem die Zuwanderungs- und Flüchtlingsgesetze geschaffen, die zur Steuerung des Zustroms von Menschen aus Nordafrika genutzt werden. Die EU hat solche Geschehnisse erwartet und ihre Mitglieder haben das offen ausgesprochen, als sie diese Gesetze gemacht haben.
Xu Jingjing: Was ist Ihre Einschätzung zu den Aktionen der USA und ihrer militärischen Verbündeten in den ersten 10 Tagen des Krieges in Libyen?
Nazemroaya: Die Aktionen der ersten zehn Tage des Krieges waren niemals zum Schutz der Zivilisten gedacht. Die militärischen Einsätze sind offensiver Natur und Mittel gewesen, Libyen als unabhängigen Staat zu schwächen. Ich erwähnte eingangs, dass ich den Aussagen von Admiral Stavridis vor dem Ausschuss der bewaffneten Streitkräfte des US-Senats zuhören konnte und ich möchte darauf zurück kommen. In der Anhörung stellten beide, Admiral Stavridis und Senator McCain, ausdrücklich heraus, dass Sanktionen und Flugverbotszonen nichts wirklich bewerkstelligen könnten. Das ist bedeutungsvoll. Denn wenn solche Militäraktionen nichts erreichen, warum haben sich dann die USA für ihre Umsetzung gegenüber Libyen stark gemacht? Die Antwort ist, dass es bei diesen Operationen eben nicht um Humanität geht, sondern dass es sich um einen Akt der Aggression handelt, mit dem die Tür nach Libyen und Afrika zu einem neuen kolonialen Vorhaben geöffnet werden soll.
Mahdi Darius Nazemroaya ist aus Ottawa (Kanada). Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Centre for Research on Globalization (CRG).
Einleitung und Übersetzung: Deutsche Kommunistische Partei (DKP).
Quelle: Global Research.